Im ersten Kapitel seines 1937 erschienen Werkes “Nachfolge” hält D. Bonhoeffer zum “Ruf in die Nachfolge” am Beispiel des Zöllners Levi fest:
Der Ruf ergeht, und ohne jede weitere Vermittlung folgt die gehorsame Tat des Gerufenen. Die Antwort des Jüngers ist nicht ein gesprochenes Bekenntnis des Glaubens an Jesus, sondern das gehorsame Tun. Wie ist dieses unmittelbare Gegenüber von Ruf und Gehorsam möglich? Es ist der natürlichen Vernunft überaus anstößig, sie muß sich bemühen, dieses harte Aufeinander zu trennen, es muß etwas dazwischentreten, es muß etwas erklärt werden. Es muß unter allen Umständen eine Vermittlung gefunden werden, eine psychologische, eine historische. Man stellt die törichte Frage, ob nicht der Zöllner Jesus schon vorher gekannt habe und daher bereit gewesen sei, auf seinen Ruf hin zu folgen. Eben hierüber aber schweigt der Text hartnäckig, es liegt ihm ja gerade alles an dem gänzlich unvermittelten Gegenüber von Ruf und Tat. Psychologische Begründungen für die frommen Entscheidungen eines Menschen interessieren ihn nicht. Warum nicht? Weil es nur eine einzige gültige Begründung für dieses Gegenüber von Ruf und Tat gibt: Jesus Christus selbst. Er ist es, der ruft. Darum folgt der Zöllner. Die unbedingte, unvermittelte und unbegründbare Autorität Jesu wird in dieser Begegnung bezeugt. Nichts geht hier voraus, und es folgt nichts anderes als der Gehorsam des Gerufenen. Daß Jesus der Christus ist, gibt ihm Vollmacht zu rufen und auf sein Wort Gehorsam zu fordern. Jesus ruft in die Nachfolge, nicht als Lehrer und Vorbild, sondern als der Christus, der Sohn Gottes. So wird in diesem kurzen Text Jesus Christus und sein Anspruch auf den Menschen verkündigt, sonst nichts. Kein Lob fällt auf den Jünger, auf sein entschiedenes Christentum. Der Blick soll nicht auf ihn fallen, sondern allein auf den, der ruft, auf seine Vollmacht. Auch nicht ein Weg zum Glauben, zur Nachfolge ist gewiesen, es gibt keinen anderen Weg zum Glauben als den Gehorsam gegen den Ruf Jesu. Was wird über den Inhalt der Nachfolge gesagt? Folge mir nach, laufe hinter mir her! Das ist alles. Hinter ihm hergehen, das ist etwas schlechthin Inhaltloses. Es ist wahrhaftig kein Lebensprogramm, dessen Verwirklichung sinnvoll erscheinen könnte, kein Ziel, kein Ideal, dem nachgestrebt werden sollte. Es ist gar keine Sache, für die es sich nach menschlicher Meinung verlohnte, irgendetwas oder gar sich selbst einzusetzen. Und was geschieht? Der Gerufene verläßt alles, was er hat, nicht, um damit etwas besonders Wertvolles zu tun, sondern einfach um des Rufes willen, weil er sonst nicht hinter Jesus hergehen kann. Diesem Tun ist an sich nicht der geringste Wert beigemessen. Es bleibt in sich selbst etwas völlig Bedeutungsloses, Unbeachtliches. Die Brücken werden abgebrochen, und es wird einfach vorwärtsgegangen. Man ist herausgerufen und soll „heraustreten“ aus der bisherigen Existenz, man soll „existieren“ im strengen Sinn des Wortes. Das Alte bleibt zurück, es wird ganz hingegeben.
Seit 2016 sind Bonhoeffers Werke nun gemeinfrei. “Nachfolge” kann hier als pdf heruntergeladen werden.