Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch – Erstlingswerk von Alexander Solschenizyn

Eigentlich ist es eine seltsame Führung, dass das erste Werk von Alexander Solsschenizyn, selber zunächst jahrelang Häftling im Gulag, später bis zur seiner Rehabilation 1957 in “ewiger Verbannung” in Sibirien, offiziell von der sowjetischen Regierung zur Veröffentlichung zugelassen wurde, ja von Chruschtschow, dem Führer der UdSSR höchstpersönlich, der sich sogar mit dem Buch beschäftigt hat. Da die Zensurbehörde weitere Probleme fürchtet, erscheint die russische Erstauflage gar mit einem Vorwort von Chrutschtschow höchstpersönlich.

Chrustschow war ein entschiedener Kritiker des Stalinismus, und es passte wohl in das politische Klima, Stalinistische Auswüchse wie die Gulags zu kritisieren. Entsprechend wünschte sich die Zensurbehörde sogar mehr “Stalin-Kritk”. Solchenzin berichtet später selbst:

“Und das Lustigste für mich, den Feind von Stalin, war, dass ich zumindest einmal den Namen Stalins als Verursacher von Katastrophen erwähnen musste. (Und tatsächlich wurde er im Bericht kein einziges Mal erwähnt! Das geschah natürlich nicht zufällig, denn ich sah das sowjetische Regime, nicht nur Stalin allein.) Ich machte diese Zugeständnis: Ich erwähnte ‘Väterchen Schnurrbart’ einmal…”

Das Buch schildert einen Tag des Häftlings Ivan Denisovich Schuchow, im Lager nur unter der Nummer Щ-854 bekannt. Die Idee zum Buch hatte der Autor im Lager. Er wollte etwas über die sowjetische Straflager-Kultur schreiben und im wurde klar, dass ihm das viel besser gelingt, wenn er einen einzigen Tag eines durchschnittlichen Gefangenen vom morgen bis zum Abend schildert. Entsprechend fängt das Buch an:

“”Um fünf Uhr morgens, wie immer, ertönte der Weckruf – mit einem Hammer auf die Schienen am Stabsgebäude.”

Der Tag fängt alles andere als gemütlich an. Schuchow fühlt sich kränklich, kommt nicht so recht aus den Federn, und bei der ersten Lagerkontrolle führt das zur ersten Strafmaßnahme: Dem Wischen des Bodens im Verwaltungsgebäude. Schwach bekleidet, unsicher tritt Schuchow diese Arbeit bei beißender Kälte von -30°C an.

Eine Katastrophe kündigt sich an, so denkt man als Leser dieser etwa 70 Seiten langen Novelle. Doch die Katastrophe bleibt aus. Schuchow gelingt es doch noch pünktlich am Frühstück dazu sein. Die Arbeit die seiner Kolonne zugeteilt wird entspricht ganz seinen Vorstellungen: Er muss mauern, was einen Schutz vor dem beißenden Wind bietet, außerdem verbreitet die Heizung, die für das Auftauen des Zementsandes benötigt wird, etwas Wärme. Ja die Arbeit macht ihm so viel Freude (und wärmt dabei), dass er fast zu spät zum “Gong-Ende” kommt.

Um Schuchow, die Zentralperson der Novelle entwickeln sich viele kleinere Aspekte. So lernen wir Aljoscha kennen, der wegen seinem baptistischen Glauben sitzt und mit dem Schuchow zuletzt gar über den Glauben spricht. Oder Cäsar, einen Inhaftierten, der nicht nur leichte Büro-Tätigkeiten hat, sondern auch “gut” von der Verwandtschaft mit vielen Paketen versorgt wird. Man bekommt Einblick in die Bestechungsstrukturen im Lager, die Kriminalität und die Versuche der Wärter jegliche Privatsphäre zu unterbinden.

“Ein Tag verging, ungetrübt von irgendetwas, fast glücklich. In seiner Dienstzeit gab es insgesamt dreitausendsechshundertdreiundfünfzig solcher Tage, von Klingelton zu Klingelton. Aufgrund der Schaltjahre kamen drei zusätzliche Tage hinzu…”

Gerade durch den optimistischen ja freudevollen Verlauf des Werkes gelingt dem Buch ein wichtiger Punch! Die Gulags und Unterdrückungen konnten eben nicht die Freude am Leben, die Lust am Handeln, das selbstständige und verantwortungsvolle Denken unterbinden.

Das Buch zeigte Wirkung. Die Regierung wurde auf die Zustände in den Gefängnissen sensibilisiert und unternahm Maßnahmen. Solschenizyn selbst erhielt unzählige Briefe von Mitgefangenen und Mitgelittenen. Letztlich führte es auch zu einen höheren Vernetzungsgrad von antisowjetischen Dissidenten und so sollte das Buch auch die Geschichte der Sowjetunion mitprägen. Für mich ist hier eine große Ermutigung, dass sich auch “versteinert wirkende” Systeme verändern lassen.

Nur 8 Jahre nach der Veröffentlichung seines Werkes bekam Solzhenizyn den Literatur-Nobelpreis und nur 4 weitere Jahre später wurde er aus der Sowjetunion verbannt. Allzu viel Systemkritik konnte die Sowjetunion vor allem unter Chrustschows Nachfolger Breschnew nicht dulden…

Insgesamt ein lesenswertes Buch, dass gerade aufgrund seiner Kürze ein guter Einstiegspunkt in das große Werk Solschenizyns darstellt.

1 Kommentar zu „Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch – Erstlingswerk von Alexander Solschenizyn“

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