Calvin schreibt an Bullinger über Luther

“…Ich höre, Luther sei kürzlich mit furchtbarem Schelten nicht nur über Euch, sondern über uns alle hergefahren. Es ist ja schon an sich traurig, dass wir, gering an Zahl und rings von Gegnern umgeben, noch in unserer eigenen Mitte im Kampf zusammenstoßen. Aber zu unpassender Zeit konnte es wirklich nicht dazu kommen als gerade jetzt. Ich kann mich daher nicht anders ausdrücken als: Gott hat dem Satan die Zügel gelockert. Luther hat darin freilich, außer seinem eigenen, maßlos leidenschaftlichen und kecken Charakter, den Amsdorf zum Ratgeber, einen geradezu verrückten Menschen ohne Nachdenken. Er lässt sich von ihm lenken ,oder besser: Auf Abwege führen. Es ist aber gut, wenn wir anerkennen, dass auch mit dieser Geißel der Herr uns schlägt. Wir werden dann geduldiger tragen, was sonst entsetzlich herb wäre.

Ich weiß nicht, ob Luther durch irgendeine Schrift von Euch gereizt worden ist. Aber wenn ein Charakter wie der seine, der nicht nur reizbar, sondern verbittert ist, auch aus geringfügiger Ursache aufbraust, zu solchem Toben und Lärmen konnte er sicher keinen genügenden Grund haben.

Nun wage ich kaum Euch zu bitten, Ihr möchtet stillschweigen, denn es wäre nicht recht, Unschuldige so schimpflich behandeln zu lassen und ihnen Gelgenzeit zur Rechtfertigung zu verweigern. Auch wäre es schwer zu sagen, es wäre gut zu schweigen. Aber das ist mein Wunsch, dass Ihr Euch darauf besinnt, welch großer Mann Luther doch ist, durch  welche außerordentlichen Geistesgaben er sich auszeichnet. Wie tapfer und unerschütterlich, wie geschickt, wie gelehrt und wirksam hat er bisher gearbeitet an der Zerstörung der Herrschaft des Antichrist und an der Ausbreitung der Lehre zur Seligkeit. Ich habe schon oft gesagt: Wenner mich einen Teufel schölte, ich würde ihm doch die Ehre antun, ihn für einen ganz hervorragenden Knecht Gottes zu halten, der freilich auch an großen Fehlern leidet, wie er an herrlichen Tugenden reich ist.

Hätte er sich doch bemüht, sein stürmisches Wesen besser im Zaum zu halten, mit dem er überall herausplatzt! Hätte er doch die Leidenschaftlichkeit, die ihm angeboren ist, stets gegen die Feinde der Wahrheit gekehrt, statt sie gegen Knechte des Herrn blitzen zu lassen! Hätte er sich doch mehr Mühe gegeben, seine Fehler einzusehen! Am meisten haben ihm die Schmeichler geschadet, da er schon von Natur zu sehr dazu neigt, sich selbst milde zu behandeln. Doch ists unsere Pflicht, was fehlerhaft an ihm ist, so zu tadeln, dass wir seiner genialen Begabung etwas zu gut halten. Denk also vor allem daran, das bitte ich dich wie deine Kollegen, dass ihr es zu tun habt mit einem Erstling unter den Knechten Christi, dem wir alle viel schulden. Ihr werdet ja euch, wenn Ihr in feindlichen Kampf mit ihm tretet, nichts erreichen, als dass ihr den Ungläubigen ein Vergnügen bereitet, so dass sie dann triumphieren werden, nicht so sehr über unsere Personen, als über die Sache des Evangeliums. Wenn wir uns gegenseitig herunterreißen, dann schenken sie uns mehr wie genug Glauben. Wenn wir aber einmütig und einstimmig Christus predigen, dann wollen sie uns die Glaubwürdigkeit absprechen du missbrauchen dazu eben unsere Anschuldigungen gegeneinander, denen sie mehr glauben als recht ist. Ich möchte, du sähest es und bedächtest es mehr als das, was Luther seiner maßlosen Heftigkeit wegen verdiente. Es soll doch bei uns nicht eintreten, was Paulus tadelt (Gal. 5,1), dass wir uns gegenseitig beißen und fressen und dabei selbst verzehrt werden. Auch wenn Luther uns gereizt hat, ist es besser, abzustehen vom Kampf, als den Schaden größer zu machen zum Nachteil der ganzen Kirche…”


Diesen Brief schrieb Johannes Calvin am 25.11.1544 an Heinrich Bullinger. Dieser und viele weitere lesenswerte Briefe Calvins finden sich hier.

2 Kommentare zu „Calvin schreibt an Bullinger über Luther“

  1. Lieber Sergej,
    danke für diesen Beitrag – Calvins Brief ist wirklich super in so vieler Hinsicht. Seine Demut und Milde, seine Gottessicht, seine Weisheit und Abhängigkeit von Gott erstaunen mich und sind vorbildhaft.
    Ein kleiner Tipp: in dem 1500 Seiten Dokument wäre es besser lesbar, wenn man Blocksatz macht – sofern du das Word Dokument besitzt, würde ich das ändern. ☺️
    LG dein Bruder Timotheus

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