“Zum König geboren” von Dorothy L. Sayers

Dieses Buch ist eine kostbare Entdeckung für das Jahr 2022. Manfred Siebald, der das Buch übersetzt hat, liefert auch das Vorwort zu diesem Werk, dass zu seiner Veröffentlichung in den 40ern Jahren für Empörung gesorgt hat:

Der Hintergrund war dieser: Das BBC wollte einen Hörspielzyklus über das Leben Jesu veröffentlichen. Dass man Dorothy L. Sayers, also eine Nicht-Theologin (und Krimi-Schreiberin) als Autorin dieses Werkes aussuchte, schockierte die Zuhörerschaft womöglich ähnlich wie die Tatsache, dass die theatralische Darstellung der Dreieinigkeit verboten war. Verstieß auch ein Hörspiel dagegen?

Was herauskam ist ein zwölfteiliger Hörspielzyklus mit umfangreichen Personenbeschreibungen. Der Zusammenhang zu dem Buch: Das Buch ist die Übersetzung der Hörspieltexte und eben der Personenbeschreibungen. Dieses Buch zu lesen war mir ein Hochgenuss und immer wieder nickte ich überrascht über die Zusammenhänge, die Sayers aus den einzelnen Begebenheiten im Leben Jesu zog: Z.B. wie die drei Versuchungen Jesu in der Wüste immer wieder an ihn in seinem Dienst herantraten. Oder wie sich die Frage nach der Macht und Herrschaft von Krippe bis Kreuz bis hin zur Auferstehung zieht.

Sayers gelingt auch deswegen ein hervorragendes Hörspiel, weil die Personen sich entwickeln: So wächst das Vertrauen des Johannes von Jahr zu Jahr der Nachfolge immer weiter, in ähnlicher Weise keimt aber das Misstrauen in Judas immer weiter hoch bis zum Verrat. Die Art wie Sayers die Gleichniserzählungen Jesu in den Dienst Jesu einbindet wirkt äußerst natürlich, man fühlt sich beständig in die Zeit zurückversetzt und sitzt bei Martha zu Gast oder ist Unterwegs nach Jerusalem zu Fest oder auf dem Weg zu Lazarus. Insgesamt orientiert sich Sayers vor allem am Johannesevangelium (will mir scheinen) und liefert eigentlich eine künstlerische Evangelienharmonie.

Ich gebe diesem Werk eine hohe Leseempfehlung, gerade für Einsteiger beim Bibellesen, die mehr über die Zusammenhänge einzelner Taten und Worte Jesu erfahren möchte. Sayers brilliert als ausgezeichnete Kennerin des Neuen Testaments und der Bezüge Jesu zum alten Testament. So erkennt sie, meines Erachtens treffend, dass der Engel den Stein von Jesu Grab nicht deswegen wegrollte, damit Jesus rauskam, sondern damit deutlich wird, dass das Grab leer ist. In meinem Bücherregal landet das Buch deswegen übrigens bei der Rubrik: “Theologien zum Neuen Testament”. Wenn ich in der Harmonie von Sayers einen Kritikpunkt zu gestatten würde, dann, dass die dichte Lehre von der Endzeit etwas zu kurz kommt.

Insgesamt hatte Manfred Siebald einen unglaublich guten Riecher, dieses Buch zu übersetzen und man bedauert nur, dass dieses Werk nicht als deutsches Hörspiel vorliegt!

Das Buch ist gegenwärtig nur antiquarisch erhältlich. Das Werk erschien auch auf englischer Sprache verschriftlicht und enthielt eine Einführung der Autorin, die ebenfalls ins Deutsche übersetzt wurde. Die abschließenden Worte dieser Einführung möchte ich euch nicht vorenthalten, die den Wunsch ausdrücken, wie nötig wir es haben, das schockierende Drama des Neuen Testaments neu zu entdecken:

“Lasst es mich euch sagen, ihr lieben Christen: Ein ehrlicher Schriftsteller würde scih schämen, ein Ammenmärchen so zu behandeln, wie ihr das größte Drama der Geschichte behandelt habt; noch gar nicht einmal um seines Glaubens, sondern allein schon um seiner schriftstellerischen Berufung willen würde er sich schämen.

Ihr habt vielleicht vergessen, dass es sich zuerst und vor allem um Geschichte handelt, um eine wahre Geschichte, um den Wendepunkt der Geschichte, um “das Einzige, was jemals wirklich geschehen ist.” Ist das so, dann dürfen selbst die Geringsten unter uns euch daran erinnern: wir, Dramatikerin und Schauspieler. Unser Handwerk ist es, Geschichten zu erzählen – das einzige Handwerk, das wir verstehen. Wir haben getan, was wir konnten; möge der Meister aller Handwerker selbst das Beste daraus machen.”

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