Zehn Fragen an Georg Walter

  1. Wie kamen Sie dazu schriftstellerisch aktiv zu werden?

In meiner Auseinandersetzung mit Strömungen (Charismatik, Neoevangelikalismus, Emerging Church, liberale Theologie, Mystik), die nicht mehr oder nur noch teilweise auf dem Fundament schriftgemäßer Lehre stehen, griff ich überwiegend auf englischsprachige Quellen bibeltreuer Autoren zurück und konnte nur wenig Material in deutscher Sprache finden. Immer wieder wurde ich zu bestimmten Themen angesprochen und leitete Artikel an Interessierte zu diesen Sachthemen weiter. Die Fremdsprachenkenntnisse vieler sind jedoch nicht ausreichend, um englischsprachige Artikel zu verstehen, so dass ich begann, den einen oder anderen Artikel ins Deutsche zu übersetzen sowie eigene Artikel zu verfassen. In diesem Zuge kam mir der Gedanke, einen Blog zu eröffnen. Statt in mühsamer und zeitaufwendiger Kleinarbeit Aufklärung zu machen, konnte nun jeder auf meinen Blog zugreifen und die Artikel abrufen, die für ihn von Interesse waren. Auf diese Weise wurden Artikel in den letzten Jahren tausendfach aufgerufen, gelesen und sicherlich auch weiterverbreitet. Vieles von dem, was ich recherchierte, fasste ich in dem Buch Der Angriff auf die Wahrheit/Frei-PDF für den CLV Verlag zusammen, das im Jahre 2009 zum 100-jährigen Bestehen der Berliner Erklärung veröffentlicht wurde.

  1. Ist aktuell ein Buchprojekt geplant?

seht_welche_eine_liebe_webDerzeit ist kein eigenes Buchprojekt geplant. Ich befasse mich gegenwärtig mit der Reformation, Martin Luther sowie mit der Autorität der Heiligen Schrift und dem reformatorischen Prinzip sola scriptura (allein die Schrift). Möglicherweise könnte daraus eine kleine Schrift oder eine Artikelreihe werden.

  1. Nennen Sie uns ihre 3 Lieblingsbücher (neben der Bibel)?

Ich würde an dieser Stelle lieber Lieblingsautoren nennen, in deren Bücher ich immer wieder einmal schaue. Hierzu zählen John MacArthur, Charles Spurgeon, Martyn Lloyd-Jones, Aiden W. Tozer, Rudi Holzhauer, Fritz Binde, Georg Steinberger und Pfarrer Wilhelm Busch.

  1. Welche Bücher / Welches Buch würden Sie nicht noch einmal lesen?

Im Zuge meiner Aufklärungsarbeit habe ich viele Bücher von Autoren gelesen, die emergentes, missionales, mystisches und neoevangelikales Gedankengut verbreiten. Diese Bücher würde ich natürlich nicht mehr lesen. Gleichwohl sagt die Schrift: „Prüfet alles, das Gute behaltet“ (1Thess 5,20-21). Dieses Pauluswort war zwar ursprünglich auf Prophetie bezogen, aber es lässt sich aus meiner Sicht auf alle Gebiete des geistlichen Lebens ausweiten. Manche Christen haben die falsche Vorstellung, wer Aufklärungsarbeit leiste, würde sich nur mit „Negativem“ befassen. Das ist mitnichten so, denn bei aller Aufklärungsarbeit ist und bleibt man zuerst ein Nachfolger Christi – nicht ein Aufklärer! Aber noch entscheidender ist, dass man das Gute und Wahre nur dann behalten kann, wenn man die Wahrheit der Bibel kennt. Das Studium der Wahrheiten der Bibel erweist sich stets als erbaulich. Ich bin der Überzeugung, dass der Mangel an Erkenntnis biblischer Wahrheit dazu geführt hat, dass heute so viel unbiblisches Gedankengut in die Gemeinden eindringen kann.

  1. In welchem Bereich sehen Sie die größte Not in der heutigen Christenheit und wo (und/oder) wie könnte man da am besten einschreiten/helfen?

walter-evangelikale-und-die-mystik-4cbAls Leser des Blogs „Nimm und Lies“ hat mich die Antwort auf diese Frage in früheren Interviews besonders interessiert. Was sagen denn die anderen Brüder auf diese Nachfrage? Und ich kann mich allem, was bereits gesagt wurde, nur anschließen. Die größten Nöte sind: Erkaltete Herzen; man weiß nicht, wie und wer Gott ist – seine Gerechtigkeit, Heiligkeit und Liebe; Gleichgültigkeit; Erstarrung in Tradition; wenig Begeisterung für Gottes Wort; eine säkularisierte Jugend; geistliche Schläfrigkeit; zu viel Ablenkung; zu viel Programme und Aktionen, bei denen der fromme Ichmensch im Vordergrund steht. Aber ich möchte dieser Diagnose noch etwas Ernsthaftes hinzufügen. Mich erschüttert immer wieder der Mangel an verantwortlicher geistlicher Leiterschaft. Zu wenige Leiter haben verstanden, dass sie die ihnen anvertraute Herde nicht nur nähren, sondern auch beschützen müssen.

Wie kann man helfen, diesen Zustand zu verändern? Einerseits glaube ich, dass wir tatsächlich am Ende der letzten Tage leben, auf die alle die oben genannten Merkmale zutreffen (2Tim 3,1). Wir sollten die Bibel nicht neu erfinden, denn das prophetische Wort vom großen Abfall wird unvermeidbar sein. Andererseits habe ich immer wieder mutmachende Begegnungen und Gespräche mit Geschwistern, die eine treue Christusnachfolge praktizieren. Zeiten des Umbruchs, wie wir sie heute erleben, waren immer Zeiten der Sichtung. Die Spreu wird vom Weizen getrennt. Und ein Wort ist mir seit vielen Jahren Stärkung und Trost: „Wenn aber dies anfängt zu geschehen, so richtet euch auf und erhebt eure Häupter, weil eure Erlösung naht“ (Lk 21,28). Ich bin überzeugt: Die Freude am Wort und an unserem Herrn ist die Kraft, die uns durch jede Drangsal bringen wird. Auch freue ich mich über alle geistlichen Leiter, die treu und kompromisslos ihre Berufung erfüllen. Sie schützen ihre Gemeinden und folgen nicht allen Trends und Lehren. Wir müssen eben nicht mit der Zeit gehen, wir müssen mit Jesus gehen! Der Weg dem Lamme nach war immer ein schmaler Weg, aber er ist ein gesegneter Weg.

  1. Wie beurteilen Sie den reformatorischen Aufbruch unter vielen Christen aktuell?

Einen reformatorischen Aufbruch kann ich nicht erkennen, weder in Deutschland noch in anderen Ländern. Man muss den Begriff „reformatorisch“ (von der Reformation geprägt) vom Begriff „reformiert“ oder „calvinistisch“ (Reformierte folgten der Lehre Calvins und waren neben den Lutheranern eine bestimmende Kraft in der Reformation) unterscheiden. Wahrscheinlich ist die Frage auf Letzteres bezogen, oder genauer gesagt, auf den „Aufbruch“ unter den sogenannten Neuen Calvinisten. Dieser Aufbruch schlägt sich in Großveranstaltungen in den USA nieder, die vor allem die Jugend erreicht (Young, Restless and Reformed). Wo immer eine größere Hingabe an das Wort Gottes zu beobachten ist, kann man das nur gutheißen. Gleichwohl teile ich die Einschätzung John MacArthurs, der in einem Interview in Bezug auf die Neuen Calvinisten sagte:

„Bedauerlicherweise ist es eine Ironie, dass diejenigen, die für sich beanspruchen, eine calvinistische Soteriologie (Lehre des Heils) zu vertreten, ekklesiologische [die Gemeinde betreffend] und evangelistische Methoden anwenden, die stark von gegenwärtigen Trends, cleveren Methoden und menschlichem Einfallsreichtum charakterisiert sind… Worte wie Relevanz, Innovation oder Kontextualisierung sind zu Signalwörtern geworden, selbst in calvinistischen Kreisen, um die Kirchenfernen zu erreichen. Aber diese Worte beinhalten eine menschenzentrierte Haltung, von der ich glaube, dass sie gänzlich unbiblisch ist.
Wieviel besser wäre es, die Haltung von Jonathan Edwards während dem Great Awakening (Große Erweckung ab ca. 1730) einzunehmen. Edwards war überrascht, wie die Menschen auf seine Verkündigung reagierten. Er manipulierte die Erweckung nicht. Vielmehr konzentrierte er sich auf die Predigt der Wahrheit und vertraute dem Heiligen Geist, dass Er sein Werk vollenden werde. Wenn wir in unserer Soteriologie calvinistisch sind, sollten wir zumindest im gleichen Geist unsere Ekklesiologie betreiben – und vor allem unsere evangelistische Strategie“ (Interview mit Tim Challies, 10 Questions with John MacArthur).

Es bleibt abzuwarten, wie tief und echt der derzeitige „Aufbruch“ in den USA ist. In Deutschland sind es die Vertreter von Evangelium 21, die sich an den Neuen Calvinisten orientieren, zugleich aber ihre Eigenständigkeit betonen. Der Vorstand von Evangelium 21 weist eine große Breite auf und schließt den anglikanischen Pfarrer Martin Reakes-Williams, Matthias Lohmann (FEG München Mitte, Mitglied der Evangelischen Allianz) ebenso ein wie Pastor Wegert (ehemaliger Pfingstler, der sich zwar von der Extremcharismatik distanziert hat, aber grundsätzlich an der Praxis der Geistesgaben festhält). Freikirchliche Vertreter, ganz gleich aus welchem denominationellen Hintergrund, die Kernpunkte des Calvinismus zur eigenen Mitte erheben, werden aus eigener Kraft („durch Heer oder Macht“) keinen Aufbruch schaffen können – und ich füge hinzu: Großveranstaltungen sind kein Maßstab für echtes erweckliches Leben. Aufbruch kann allein der Herr schenken („durch seinen Geist“). Die Kirchengeschichte hat gezeigt, dass Gott den Arminianer John Wesley ebenso als Werkzeug gebrauchte wie den Calvinisten George Whitefield. Charismatik (auch in moderater Form) und Calvinismus sind aus meiner Sicht unvereinbar – hier stimme ich John MacArthur u. a. uneingeschränkt zu.

  1. Wie wurden Sie Christ?

256243(1)Über das Trampen bekam ich Anfang der 1980er Jahre Kontakt zu einem Christen, der mich in eine moderate Pfingstgemeinde einlud. Nachdem ich mich zuvor vom Atheismus abgewandt hatte und viele Jahre in östlichen Religionen und Philosophien sowie in westlichen Geheimlehren, dem New Age und der Esoterik nach dem Sinn des Lebens gesucht hatte, wusste ich sofort, dass ich in Christus und der Bibel die Wahrheit gefunden hatte. Ich bekehrte mich und wurde getauft. Anfang 2000 begann ich jedoch die Pfingstbewegung theologisch wie kirchengeschichtlich zu hinterfragen und wandte mich 2005 schließlich von dieser Bewegung ab. Die klassische Pfingstbewegung, die sich aus meiner Sicht trotz ihrer falschen Lehre über Geistestaufe und Geistesgaben bis in die 1970er Jahre sehr viel stärker an der Schrift orientierte, hat sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr der Charismatik mit ihren Lehren und Praktiken geöffnet – bis hin zu Grenzüberschreitungen in das Okkulte (das sehen selbst Pfingstler so). Und konservative, moderate Pfingstler (nur noch ein kleiner Teil der Bewegung) bedauern dies ebenso. Besonders erstaunlich war neben der Akzeptanz der Charismatik die Öffnung zur Ökumene und zum Katholizismus. In meinem anfänglichen Glaubensleben war die Pfingstbewegung, die aus dem Hauptstrom des Protestantismus (!) hervorgegangen war, antiökumenisch ausgerichtet. Auf Grundlage biblischer Lehre war es undenkbar, den Schulterschluss mit der katholischen Kirche zu suchen. Das hat sich mittlerweile in nicht geringem Umfang in das Gegenteil verkehrt – nicht zuletzt ein Grund für meine innere Auseinandersetzung mit dieser Bewegung. Was in den 1970er Jahren Wahrheit war, konnte doch nicht einfach ein oder zwei Jahrzehnte später über Bord geworfen werden! In diesem Punkt wollte ich der Bibel und den Grundanliegen der Reformation treu bleiben.

  1. Was bedeutet für Sie „Christ sein“?

Wie aus der Frage zuvor bereits ersichtlich bedeutet Christsein für mich, Christus und dem Wort Christi zu folgen. Es geht nicht um uns, sondern es geht um Christus und sein Wort der Wahrheit. Glaube wird heute oft sehr dehnbar interpretiert. Aber Paulus spricht nicht von einem beliebigen Glauben, sondern vom „Glauben an die Wahrheit“ (2Thess 2,13), und er verknüpft biblischen Glauben mit der Heiligung des Geistes. Christsein ist Nachfolge im Glauben an die Wahrheit, die ihren Ausdruck in der Heiligung findet.

  1. Worin sehen Sie Grundlagen für geistliches Wachstum?

Geistliches Wachstum hat Freunde und Feinde. Die Freunde sind Bibelstudium – und ich betone „Studium“, da dies heute vielfach in den Hintergrund getreten ist –, Gebet, geistliche Gemeinschaft mit den „goldenen und silbernen Gefäßen“ im Hause Gottes (2Tim 2,20). Die Feinde für Wachstum wurden in Frage 5 bereits erörtert. Hinzufügen möchte ich aber noch die kalte Orthodoxie (auch unter „Bibeltreuen“), in der die Früchte des Heiligen Geistes (Gal 5,22) erfrieren und nie zur Reife gebracht werden. Gärtner kennen das Richtungswachsen, wobei Pflanzen an Stangen emporwachsen, zum Licht der Sonne aufstrebend. Wachstum orientiert sich stets an dem, was uns gemäß der Schrift geoffenbart wurde – also schriftgemäß ist – aber auch an dem, was Christus gemäß ist – sich also am Wesen und Charakter Christi orientiert. Häufig ist es der Fall, dass Christen das Christus gemäße Wachstum zugunsten des schriftgemäßen Wachstums vernachlässigen. Die Folge dieser Einseitigkeit sind Lehrstreitigkeiten und Trennungen, oder um im Bild des Gärtners zu bleiben: Das Richtungswachsen in die Höhe, zur Sonne der Gerechtigkeit aufstrebend, ist in Schieflage geraten. Ich plädiere für Wachstum in der Erkenntnis Christi und seines Wortes und Wachstum im Sinne einer charakterlichen Veränderung in das Ebenbild Christi.

  1. Welche historische Personen würden Sie gerne Treffen und welche Fragen würden Sie mit dieser besprechen wollen?

Ich würde mich gerne einmal mit Adam und Eva über ihr Leben im Paradies sowie über ihre Motive und Gedanken, die zum Sündenfall führten, unterhalten. Mich würde interessieren, wie Noah 120 Jahre Geduld aufbrachte, die Arche zu bauen. Von Jeremia, dem einsamen Propheten, würde ich gerne wissen, was ihn stärkte, als er so isoliert, angegriffen und allein unter Gottes Volk einer der wenigen war, die das Wort des Herrn verkündeten. Und mit Paulus würde ich mich gerne unterhalten, was er als die größte Not der Gemeinden seiner Zeit betrachtete und wie er dazu beitrug, dieser Not zu begegnen (Frage 5).

2 Kommentare zu „Zehn Fragen an Georg Walter“

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