Vom Glück, selbstlos zu leben

Im konservativen Milieau ließt man Keller natürlich nur heimlich. Jeder weiß dabei wohl wissentlich, dass man “mit diesem Prediger aufpassen müsse”. Man habe das ja in einem Artikel von Betanien gelesen. Falls man jetzt denkt, dass das keine sinnvolle Rezensionseinleitung ist; – aufgepasst! Ich erzähle regelmäßig davon, dass ich Kellers Predigten gerne höre und die Reaktion von einem ganz bestimmten Typus Gesprächspartner ist dabei immer identisch (und so banal vorhersagbar): “Was, Keller? Ich habe da mal einen Artikel von Betanien gelesen…” Ich glaube ich habe diese Reaktion schon ca. ein halbes Dutzend mal erlebt. Ursprünglich versuchte ich zu argumentieren, warum ich Keller dennoch für einen hilfreichen Prediger und Autor halte, aber ich habe festgestellt, das sich diese Einwände viel einfacher und zielführender entkräften lassen, nämlich durch die Frage: “Was waren die genannten Einwände?” Siehe da! Keiner konnte diese wirklich nennen. Ich denke an dieser Stelle wird wirklich ein Problem sichtbar. Wir sind oft so notgeil darauf, Probleme und Schwierigkeiten der anderen zu erfahren und Fehler mit einem schwarzlicht-neonfarbenen Glitzerstift zu markieren, damit ja keiner diese übersehen kann.  Warum Keller ein Problem ist, konnte keiner sagen, aber dass er eines ist, wusste man ganz bestimmt. Hmm…

Nun, ich will mit meinen satirischen Seitenhieben (für die einzig ich die Verantwortung trage) nicht auch die letzen Leser von NIMM-LIES zur Weißglut bringen, aber ich glaube diese Einleitung ist genau die richtige für dieses kurze (gerade mal 40S. lang) Büchlein von Tim Keller. So wie ich verstehe handelt es sich dabei um eine Predigt über den Text “1. Kor. 3,21-4.7): Paulus setzt sich mit dem Hochmut der Korinther auseinander. Keller gelingt an dieser Stelle wie so oft, diesen Text in unsere Zeit zu holen. Sollte man jetzt viel von sich halten um nicht an Minderwertigkeitskomplexen und den Urteilen anderen zu leiden? Doch was macht man dann mit seinem eigenen täglich anklagenden Urteil, dass “man nicht genüge”. Besteht die Lösung dann vielleicht doch darin, dass man wenig und gering von sich denkt, die Schranke also niedrig hält. Aber wer lässt sich mit geringen Zielen zufriedenstellen? Täglich besitzt man den Eindruck als würde man wieder in den Gerichtssaal der Selbstbewertung hineingezogen (S. 38). Keller schreibt: “Alles, was ich dazu sagen kann, ist: Wir müssen das Evangelium immer wieder neu erleben: mit jedem Gebet, mit jedem Gottesdienst. Wir müssen es immer wieder neu durchbuchstabieren und uns fragen: Was tue ich im Gerichtssaal? Ich sollte nicht hier sein. Die Verhandlung ist vertagt – Wir können mit Paulus nachsprechen: “Was ihr denkt, ist mir egal, und was ich denke, ist mir auch egal, Nicht egal ist mir, was Gott denkt.” Und das hat er uns gesagt: “Wer mit Jesus Christus verbunden ist, wird nicht mehr verurteilt (…) Leben wir von diesem Urteil. (S.39)”

Keller weist darauf hin: Wir drehen uns zu viel um uns selbst. Durchgehend arbeiten wir an unserem Lebenslauf und lassen uns von unseren eigenen Zielen hetzen: “Vielleicht gibt es uns Sicherheit, wenn wir uns Etiketten aufkleben: “guter Mensch”, “freier Mensch”, “religiöser Mensch”, “moralischer Mensch”. Egal, wie sie lauten, es gilt immer dasselbe: Das Urteil beruht auf dem, was wir darstellen. (S. 36)”

Das ist der Lebensstil von Paulus. Einerseits ist er enorm charakterstark, hatte ungeheuren Einfluss, unglaublich viel Selbstvertrauen. Er packte die Dinge an und nichts konnte ihn entmutigen. Und doch sagt er im ersten Timotheusbrief (1,15): “Jesus Christus ist auf diese Welt gekommen, um uns gottlose Menschen zu retten. Ich selbst bin der Schlimmste von ihnen”. (…) Das passt nicht in unser Konzept. Wir sind es nicht gewohnt, dass ein Mensch mit unglaublich großem Selbstvertrauen von sich sagt, er sei einer der Schlimmsten. (S.26)”

Es geht um ein verändertes Selbstbewusstsein, um eine veränderte Sicht auf sich selbst. “Das ist Neuland. Dies ist Demut im Sinn des Evangeliums, das Glück der Selbst-Losigkeit. Nicht, wie in modernen Gesellschaften, höher von mir denken, oder, wie in traditionellen Gesellschaften, geringer. Einfach weniger an mich denken. (S.32)”

Perfekte Leselektüre für Egoisten, Perfektionisten, Verzweifelte, Verbitterte und sonstig unglücklich in sich verkrampfte Menschen.

Für 4,99EUR bei SCM erhältlich.

 

1 Kommentar zu „Vom Glück, selbstlos zu leben“

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