Das Missionswerk Friedensstimme hat 2018 aus einer russischen, bereits etwas veralteten Vorlage mehrere Biographien übersetzt und durch neuere ergänzt. Herausgekommen ist ein Band mit zwanzig beeindruckenden Biographien:
Die Erzählungen machen deutlich, dass den Christen in der Sowjetunion brachialste Gewalt und Verfolgung entgegen strömte, die über Jahrzehnte ungebrochen anhielt: Christen wurden von ihren Arbeitsstellen entlassen, inhaftiert, in Straflager versetzt und auch sonst durch Presse und Gerüchte verunglimpft und diskriminiert.
Das Buch konzentriert sich auf drei Themenbereiche:
- Verfolgung um die Zeit des zweiten Weltkrieges: Hier war es brachiale Gewalt und die Kälte Sibiriens mit denen die Christen ausgelöscht werden sollten. Doch der entgegengesetzte Effekt trat ein. Das Evangelium erreichte Gefängnisse und entfernte Ecken der Sowjetunion
- Ab Ende der Fünfziger Jahre scheint die Strategie umzuschlagen. Man drängte die Gemeinden zu einer “staatlich anerkannten Registrierung”. Fast alle der Baptistengemeinden waren (zumindest anfangs) damit einverstanden, obwohl die “Registrierung” vorsah, dass Kinder keinen Gottesdienst mehr besuchen konnten. Ab den 60ern entstand jedoch ein Widerstand in den eigenen Kreisen, der zu einer Abspaltung einer Gruppe führte, die diese Vermischung von Staat und Gemeinde nicht dulden wollten. Die überlieferten Biographien schildern sehr ausführlich um das Ringen in dieser Frage
- 1961 kam es dann zu einer Neugründung von “nicht registrierten” Gemeinden unter Leitung von Gennadij Krjutschkow, der nun für Jahrzehnte im Untergrund lebte, und nie, trotz intensiver Suche von KGB und Co gefasst werden konnte. Das ermöglichte ihm, Schreibarbeit zu verrichten, die nicht anonym blieb. Es brachte den Baptisten Russlands viel Respekt ein, dass sie intensive illegale Literaturarbeit betrieben.
Einige Biographien beschreiben auch die Entwicklungen nach der Perestroika. Es ist etwas schade, dass ein relativ kurzer Zeitrahmen gewählt wurde und nur im Rahmen der Denomination gedacht wurde. Es wäre interessant auch über Christen Russlands zu lesen, die eher zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ihre Wirkung hatten. Sachinformationen zu einigen typischen Begriffen und zahlreiche Fotographien ergänzen das Werk. Vor allem die Photographien würde ich manchen russlanddeutschen Christen sehr ans Herz legen, da sieht man dann schwarz auf weiß, dass die Christen Russlands eben nicht alle uniformiert glatt gestriegelt in selber Uniform herum liefen und dennoch einen feurigen Glauben haben konnten.
Zum Schluss noch ein Zitat, dass eine interessante Begebenheit gut beschreibt. Wie ging man eigentlich mit der neu erlangten und eigentlich völlig unerwarteten Freiheit nach der Verfolgung um? Gennadij Krjutschkow schreibt:
Kaum war der Eiserne Vorhang gefallen, hat man angefangen, uns zu sich einzuladen: “Brüder! Die ganze Welt betet für euch! Man kennt euch in Amerika und in England. Kommt eilends mit euren Familien zu uns zu Besuch. Wir werden eure Fahrkosten übernehmen!” Ich antwortete: “Nein, Brüder! Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs vernehmen wir von überall die Stimme, die ruft: “Kommt nach Mazedonien und helft uns!”(Apg. 16,9)” Der Herr gibt uns die Freiheit, Bethäuser zu bauen und das Evangelium zu predigen. Das Ansehen und die Ehre, die uns aufgrund unserer arbeit zuteil geworden sind, sollen nicht dazu genutzt werden, unseren Bekanntheitsgrad zu steigern. Auf keinen Fall! Wenn die Bruderschaft uns aussendet, sei es zum Dienst, für geistliche Ziele oder sonstige Fahrten, dann ja. Wenn aber nicht, dann bleiben wir. Wenn Gott will, werden wir noch Zeit genug haben, um uns überall um zusehen. Wenn wir untreu handeln, welch ein Beispiel geben wir dann? Streben nach Gewinn, Annehmen von Geschenken, Popularität – all das zerstört die Gemeinde Siebzig Jahre lang hat Gott uns Bedrängnisse erleben lassen, um nur das Reine und Geistliche zu erhalten. Er ließ uns durchs Feuer gehen, damit der bewährte Glaube viel kostbarer erfunden würde, als das vergängliche Gold. (…) S. 392
Wer eine Ergänzung zu diesem lesenswerten Werk sucht wird mit “Das Glück des verlorenen Lebens” gut bedient, welches auch literarisch ein sehr hochwertiges Werk ist.
Interessant! Mein Vater hat diese Zeit miterlebt und erzählt viel davon. Ich werde ihm das Buch bestellen.
Es gibt ein Buch (auch als Hörbuch) “Roter Herbst in Chortitza”, wo es auch um die Geschichte der Russlanddeutschen geht, nur etwas früher.
Hi, danke für deinen Kommentar, ich habe deinen Blog durch Hanniel kennengelernt, super dein Kampf um Authenzität! Danke auch für den Buchhinweis, ich habe als Teen mal (noch auf russisch) autobiographische Grundzüge von diesem Menschen gelesen: http://www.worldcat.org/identities/lccn-no92-32147/ Martsinkovskii, frag mal deinen Vater, ob er diesen kennt? Eigentlich würde ich Martsinkovskii fast als einen russischen C.S.Lewis bezeichnen…