Das sind die nötigsten Stücke, die man zuerst Wort für Wort herzusagen lernen muß. Und zwar soll man die Kinder daran gewöhnen, dass sie täglich, wenn sie morgens aufstehen, wenn sie zu Tisch gehen und wenn sie sich abends schlafen legen, es aufsagen müssen, und man soll ihnen nicht zu essen und zu trinken geben, bis sie es hergesagt haben. Auch ist jeder Hausvater verpflichtet, es in gleicher Weise mit dem Gesinde, Knechten und Mägden zu halten: er soll sie nicht bei sich behalten, wenn sie es nicht können oder nicht lernen wollen.
In typischer lutherischer Manier fängt der große Katechismus an. Die nötigsten Stücke sind dabei die zehn Gebote, das (apostolische Glaubensbekenntnis) und das Vater Unser. So ist auch der Große Katechismus nicht mehr und nicht weniger als die Erklärung dieser “nötigsten Stücke”. Ich denke auch unsere Zeit hätte mehr Besinnung auf “Kinderunterricht” oder Wahrheiten, die jedes Kind wissen sollte nötig. Wie oft sind wir uns in Fragen des Heils unsicher. Wie oft werden ethische Fragen mit Glaubensartikeln verwechselt. Wie oft fehlt uns auch die Kraft eine rechte Bewertung zwischen Recht und Unrecht zu fällen. So schließt auch Luther seine Besprechung der Zehn Gebote mit dieser Anmerkung ab:
So haben wir nun die Zehn Gebote, einen Auszug göttlicher Lehre, was wir tun sollen, daß unser ganzes Leben Gott gefalle, und den rechten Born und Kanal, aus und in welchem alles quellen und gehen muß, was gute Werke sein sollen; so daß außer den Zehn Geboten kein Werk noch Wesen gut und Gott gefällig kann sein, es sei so groß und köstlich vor der Welt, wie es wolle. Laß nun sehen, was unsere großen Heiligen von ihren geistlichen Orden und großen, schweren Werken rühmen können, die sie erdacht und aufgeworfen haben und diese hier haben fahren lassen, gerade als wären diese viel zu gering oder schon längst ausgerichtet. Ich meine wenigstens, man sollte hier alle Hände voll zu schaffen haben, daß man diesehielte: Sanftmut, Geduld und Liebe gegen Feinde, Keuschheit, Wohltat usw. und was solche Stücke mit sich bringen. Aber solche Werke gelten und leuchten nicht vor der Welt Augen, denn sie sind nicht selten und aufgeblasen, an besondere eigene Zeit, Stätte, Weise und Gebärde geheftet, sondern allgemeine, tägliche Hauswerke, die ein Nachbar gegen den andern treiben kann, darum haben sie kein Ansehen. Jene aber sperren (den Menschen) Augen und Ohren auf, dazu helfen sie selbst mit großem Gepränge, Unkosten und herrlichem Bauwerk und schmücken sie hervor, daß alles gleißen und leuchten muß. Da räuchert man, da singet und klinget man, da zündet man Kerzen und Lichte an, daß man vor diesen keine andere hören noch sehen könne. Denn daß da ein Pfaff in einem goldenen Meßgewand steht oder ein Laie den ganzen Tag in der Kirche auf den Knien liegt, das heißet ein köstlich Werk, das niemand genug loben kann. Aber daß ein armes Maidlein eines jungen Kindes wartet und treulich tut, was ihr befohlen ist, das muß nichts heißen Was sollen sonst Mönche und Nonnen in ihren Klöstern suchen?
[Martin Luther: Der große Katechismus (1529). Martin Luther: Gesammelte Werke, S. 1819
(vgl. Luther-W Bd. 3, S. 75-76) (c) Vandenhoeck und Ruprecht
http://www.digitale-bibliothek.de/band63.htm ]
Prädikat: Besonders Wertvoll!
Hallo Sergej,
kannst du ein Buch (oder mehrere empfehlen) in denen das Verständnis Luthers über die Schrift deutlich wird oder analysiert wird?
Hallo Kd,
zu empfehlen wären dann die einzelnen Vorworte Luthers zu den Bibelausgaben, z.b.
das Vorwort zum Alten TEstament, oder die Vorrede zu den alten Psalmen. Fand ich beides hilfreich. Im Unterschied zu Calvin sah Luther z.B. in jedem Psalm einen messianischen Psalm. In meinen Augen denkt Luther christozentrischer. Vielleicht ist auch das hilfreich: https://jochenteuffel.files.wordpress.com/2015/05/luther-eine-unterrichtung-wie-sich-die-christen-in-mose-sollen-schicken-insel.pdf
Es gibt eigtl. zu sehr vielen Bibelbüchern Vorreden von Luther, einfach mal googeln.
@Kd
Die Dissertation von Armin Buchholz (“Schrift Gottes im Lehrstreit”) ist äußerst lesenswert und erschließt Luthers Schriftverständnis nachvollziehbar anhand von Primärquellen.
Link zu einer Rezension: https://bibelbund.de/2014/07/schrift-gottes-im-lehrstreit/
an Kd: kommt etwas spät, bin aber heute erst auf diesen Artikel gestoßen. Ergänzend würde ich noch empfehlen: “Dr. Martin Luther: Sein Leben und Werk. Band 1: 1483-1521. Band 2: 1522-1546 (Hänssler-Taschenbücher) (Deutsch) Taschenbuch – 1. Januar 1996
von Heinrich Fausel (Autor)”
Als ich anfing, mich mit Luther zu beschäftigen, habe ich diese zwei Bände mit großem Gewinn gelesen. Der Autor läßt Luther so oft wie möglich selbst zu Wort kommen und bringt die Reformation in relativ knapper Form wunderbar verständlich rüber. Für einen Laien wie mich eine große Hilfe, zumal es sich für den Interessierten sehr flüssig lesen läßt. Gibt es bei Amazon z.B. für einen Spottpreis zu kaufen. Vielleicht wäre es auch als Buchvorstellung auf diesem Blog interessant?
Der große Katechismus, der hier vorgestellt wird, sollte allerdings auch in keinem christlichen Haushalt fehlen. Hier finden wir biblische Lehre vom feinsten. Sicher kann man das alles heute “moderner” formulieren – aber ob es besser damit wird, bezweifle ich doch stark.
Vielen Dank an dieser Stelle auch an Sergej, daß hier Luther so gewürdigt wird. Und zwar nicht seiner Person halber, sondern seiner biblischen Lehre wegen.
Nachtrag: habe gerade entdeckt, daß Fausels Buch hier auf diesem Blog schon vorgestellt wurde:
https://www.nimm-lies.de/heinrich-fausel-d-martin-luther-sein-leben-und-werk/5432
Genau :-), wollte ich auch schreiben!