Thomas von Aquin (Biografie)

Thomas von AquinWer wie ich ein angefressener Leser von Gilbert Keith Chesterton (1874-1936) ist, freut sich auf die Lektüre jedes Buches von ihm. Der brillante Autor schreibt in einer dichten, humor- und vor allem gehaltvollen Art. Kein Wunder existieren von ihm Hunderte von Zitaten und Aphorismen. Einzelne Sätze behalten auch ausserhalb des Zusammenhangs eine hohe Wirkung. Nach seiner Autobiographie, den bekannten Werken „Orthodoxie“ und „Ketzerei“ sowie einigen Bänden seiner Detektivromane machte ich mich an die kurze Biografie über den grossen Theologen des Mittelalters, Thomas von Aquin (1225-1274).

Bei einem Buch ist es stets ratsam, die Absicht des Autors zu erfahren. Chesterton schickt voraus, dass man vom heiligen Thomas „nur einen Plan anlegen wie von einer labyrinthischen Stadt“ (122 ) anfertigen könne. So masst Chesterton sich nicht an, mit seinem kurzen Beitrag eine hinreichende Einführung in das umfangreiche Werk zu bewerkstelligen. Die einzelnen Kapitel sind denn eine Mischung zwischen einzelnen Fragmenten seiner Biographie und einigen inhaltlichen Referenzpunkten.

Man kann theologisch mit dem Aquinaten wie auch mit Chesterton geteilter Meinung sein. Letzterer wurde nicht zuletzt durch seine Konversion vom Protestantismus zum Katholizismus bekannt. So mag uns Chestertons Art zunächst befremden. Weit davon entfernt, verschiedene Zugänge zum Werk des Theologen zu skizzieren, ergreift er von Beginn weg heiter Partei. „Der hl. Thomas hat nicht Christus mit Aristoteles versöhnt, sondern Aristoteles mit Christus.“ Zunächst stellt Chesterton Thomas von Aquin dem anderen berühmten Heiligen, Franz von Assisi, gegenüber. Diese beiden Männer hätten das gleiche große Werk getan, „der eine in der Stube, der andere auf der Straße“ (S. 364)! „Der hl. Franziskus bediente sich der Natur, wie der hl. Thomas sich des Aristoteles bediente“ (S. 368). Thomas von Aquin habe die Menschwerdung Gottes und damit die Leiblichkeit neu betont. „Das stärkste, strengste und unglaublichste Dogma im Credo“ sei so zu neuem Leben erweckt worden. Ebenso habe er die Religion mit der Vernunft versöhnt. Ein kleiner Seitenhieb an die Adresse der Reformatoren kann er nicht verkneifen: „Die Scholastiker waren Reformatoren, und die späteren Reformatoren im Vergleich zu ihnen Reaktionäre.“ (S. 468) „Das Vertrauen in die Vernunft ist der harte Kern der thomanischen Lehre, Luther dagegen lebte stark vom Mißtrauen gegen die Vernunft“ (S. 472).  Vielleicht können wir uns einen Happen von dieser heiteren Gelassenheit abschneiden: „Wer mich als Häretiker betrachtet, sollte mir selbst meine Gedanken verübeln und nicht meinem Helden“ (S. 68).

Die biographischen Blitzlichter lassen einen zögern, ob sie eher auf Heldenverehrung oder der Realität fussen. Auf jeden Fall bleibt eindrücklich, wie sich Thomas gegen ein Leben in Reichtum und für das Klosterleben entschieden hat – gegen seine Familie; wie sein massiges, träges Äusseres über die innere Tiefe hinwegtäuschte; wie er seine Ruhe behielt und sich weder durch Mächtige noch durch Gelehrte von seinem Kurs abbringen liess; wie er aber, wenn es um Glaubensdinge ging, stets klare Position bezogen hat.

Chesterton wäre nicht Chesterton, wenn er nicht auf zeitgenössische Probleme gelenkt hatte. Manche dieser Fragestellungen bleiben so aktuell denn je. Zwei Beispiele: Wir schwimmen in einer Informationsflut. Chesterton schreibt: „Ein Mensch von heute mag mehr Nutzen aus Erkenntnissen ziehen, welche Mikroben oder Asteroiden betreffen, als ein mittelalterlicher Mensch aus seinen wenigen Erkenntnissen über Einhörner und Salamander.“ Es herrscht der Irrglaube, durch induktive Erforschung der Einzeldinge allein zu Schlüssen gelangen zu können. „Wenn man so großartig von Induktionsschlüssen redet, meint das nur das vermehrte Sammeln von Daten.“ Der Mensch bleibt gezwungen, über die Daten hinauszugehen und eine Sicht von der Welt und dem Menschen einzunehmen. Deutlich wird dies etwa in der materialistischen Weltanschauung: „‚Die Materie besteht aus Protonen und Elektronen. Ich möchte gerne glauben, die Seele sei dasselbe wie Materie. So will ich also laut durch  das Mikrophon verkünden: Meine Seele besteht aus Protonen und Elektronen.‘ Das ist nicht Induktion, sondern ein schlimmer Schnitzer in der Deduktion. Das ist kein neuer Weg im Denken, sondern das Ende des Denkens.“ Das Anhäufen von Information genügt also nicht, was gerade das Streben des menschlichen Denkens bestätigt. „Was den Gegensatz von Deduktion und Induktion angeht, so gilt einfach: Je mehr Erkenntnisse man anhäufte, desto mehr betonte man die Einzelheiten und ließ die abschließende Deduktion einfach weg. Die Tatsachen führten natürlich doch zu einer Deduktion, auch wenn diese nicht gesehen wurde, oder aber sie führten zu gar nichts.“

Ebenso deutliche Worte findet Chesterton zum epistemologischen Skeptizismus, also der Frage, ob der Mensch in der Lage sei, eine Realität ausserhalb der seines eigenen Kopfes zu erkennen. Täuschung verstärke die Realität: „Die Dinge täuschen uns, weil sie wirklicher sind, als sie uns erscheinen.“ Natürlich existiere eine Subjekt-/Objektunterscheidung: „Das Objekt ist ein Objekt, es steht außerhalb des Verstandes und kann auch unbegriffen vom Verstand existieren. Deshalb erweitert es den Verstand, wenn es sein Teil wird.“ Der Verstand verfüge über a priori Wissen: „Der Verstand empfängt nicht nur, er saugt nicht nur Eindrücke auf wie ein Löschpapier. Auf dieser weichen Sicht ruht der feige Materialismus, der den Menschen nur als Knecht seiner Umgebung sieht.“ Die Passung zwischen dem Menschen und seiner Umgebung ist von Gott geschaffen: „Gott erschuf den Menschen, damit dieser fähig werde, mit der Wirklichkeit in Berührung zu kommen. Und was Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen.“

Meine Motivation das Buch zu lesen, war mehr vom Interesse an Chesterton getrieben. Um Thomas von Aquin wirklich kennenzulernen und sich ein Urteil über seine Theologie bilden zu können, müssten andere einführende Werke konsultiert und von Aquin selbst gelesen werden. Das Nebeneinander von deutscher und englischer Version ermöglichte mir an der einen oder anderen Stelle eine kleine Textkritik.

Von Hanniel

Daten des eBooks bei Amazon:

Titel: Thomas von Aquin
Deutsche Übersetzung: Dieter Hattrup
Autor: Gilbert Keith Chesterton
Sei­ten: 518 (geschätzt)
Sprachen: deutsch und englisch
ASIN: B00BJ57YFY
Preis: 2,68 EUR
erhält­lich bei: Amazon

Gedruckte Fassung:

Titel: Thomas von Aquin
Autor: Gilbert Keith Chesterton
Sei­ten: 333
Format: 15 x 22 cm
ISBN: 978-3936741155
Verlag: Nova & Vetera
Preis: 20,50 EUR
erhält­lich bei: Amazon

4 Kommentare zu „Thomas von Aquin (Biografie)“

  1. Zur Beruhigung: Die Angaben sind Positionsnummern des Kindle. Das Buch ist nur etwa 100 Seiten lang. Im Buch (333 S.) ist noch eine zweite Biografie über Franz von Assisi enthalten.

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