Sergej Pauli (S.P.): Sehr geehrter Herr Prof. Vern S. Poythress. Sie besitzen zahlreiche Abschlüsse. Einen Doktor der Mathematik und einen Magister in Apologetik. Zwischendurch studierten Sie auch Linguistik. Welches Ihrer Fachbereiche lieben Sie am meisten?
Vern S. Poythress (V.S.P): Mein Bereich am Westminster Theological Seminary ist die Forschung des Neuen Testaments, da ich einen Doktor der Theologie besitze. Das ist der Bereich, den ich am meisten liebe. Doch ich mag auch die anderen Bereiche, die du nanntest.
S.P.: Sie schrieben Bücher zu sehr unterschiedlichen Themen (Angefangen vom Dispensationalismus und Logik, bis hin zur Mathematik und dem Buch der Offenbarung). Gibt es einen roten Faden in Ihren Büchern?
V.S.P.: Was in meinem Leben geschah, entwickelte sich Stück für Stück. Zunächst besaß ich kein bestimmtes Ziel. Von Zeit zu Zeit spürte ich, dass der Herr mir Ideen gab, die es wert waren, dass man sie zum Nutzen anderer aufschrieb. So schrieb ich das, was mir der Herr zum Schreiben gab.
Doch wenn ich zurückschaue, denke ich, dass der rote Faden der Bücher die Hermeneutik, also das Prinzip der Auslegung (oder Interpretation) ist.
Einige meiner Bücher konfrontieren auf direkte Weise Schwierigkeiten der Auslegung. Zum Beispiel schrieb ich das Buch The Returning King, in welchem ich die Offenbarung bespreche. Unter all den Büchern des Neuen Testaments wurde ich besonders zur Offenbarung gezogen, weil sie eine Herausforderung für die Auslegung ist.
Einige meiner weiteren Bücher haben akademischen Inhalt, wie Logik oder Mathematik. In diesem Fall bestand die Herausforderung darin, diese Themenfelder aus einem christlichen Blickfeld zu betrachten. Somit findet sich auch hier die Herausforderung der Interpretation.
Einige meiner Bücher besprechen Themen der Bibel: Theophany und The Miracles of Jesus. Hier versuchte ich den Menschen zu helfen, die Bedeutung des Themas zu verstehen.
Ich schrieb zwei Bücher über die Unfehlbarkeit der Schrift, nämlich Inerrancy and Worldview und Inerrancy and the Gospels. Ursache dafür ist, dass unser Verständnis und die Verteidigung der Unfehlbarkeit der Bibel damit verknüpft sind, wie wir die Bibel interpretieren – insbesondere an den Stellen, an denen sie oberflächlich betrachtet Fehler zu enthalten scheint.
S.P.: Gibt es unter Ihren Büchern solche, die Sie nicht erneut schreiben würden? Gibt es Themen, in denen Sie Ihre Meinung geändert haben?
V.S.P.:Ich habe meine Meinung zu keinem meiner Werke wesentlich geändert. Doch ich würde drei kleinere Veränderungen erwähnen.
Erstens war das allererste Buch, das ich schrieb, nämlich Philosophy, Science and the Sovereignty of God, nur eine leichte Anpassung meiner Theologischen Masterarbeit. Es war kein besonders leicht zugängliches Werk. Ich würde es heute als nicht derart reif bezeichnen, wie es hätte sein können. Es wurde in weiten Teilen durch Redeeming Science und Redeeming Philosophy abgelöst.
Zweitens tendiert Understanding Dispensationalists dazu, eine „grammatisch-historische Exegese“ als Grundlage zu verwenden. Ich denke immer noch, dass die grammatisch-historische Exegese ein wesentlicher Bestandteil im Verständnis der Bibel sein sollte, doch ich wurde zunehmend durch die Tatsache sensibilisiert, dass unterschiedliche Ausleger diesen Begriff etwas anders verstehen und dass es ein Aspekt eines großen Ganzen ist, das der göttlichen Kommunikation wachsende Aufmerksamkeit schenkt.
Zuletzt machte ich einige Korrekturen in meinem Buch Logic, um ein paar Dinge klar zustellen. Wenn es eine zweite Auflage geben wird, werden diese Anpassungen umgesetzt sein. Das Buch über Logic kann für Leser ebenfalls herausfordernder werden, je weiter sie damit kommen. Doch die Alternative wäre ein mehrbändiges Werk und dass wollte ich nicht machen.
S.P.: In aller Kürze: Wie können Logik, Mathematik, Wissenschaften… erlöst werden?
V.S.P.: In meinem Buch The Lordship of Christ bespreche ich in Kürze die Tatsache, dass es Menschen sind, die erlöst werden und nicht wissenschaftliche Themenfelder. Dennoch halte ich „Erlösung“ für den geeigneten Begriff, um anzuzeigen, dass erlöste Menschen in ihrem Denken in erlösenden Wegen wachsen müssen, so wie es Röm. 12,1-2 aufzeigt: „Erneuert euch durch Veränderung eures Sinnes“. Diese Erneuerung betrifft auch eine Veränderung dessen, wie wir jedes einzelne Lernfeld als Christen betrachten. Ich schrieb über Logik und Mathematik, weil dies die allerletzten Bereiche wären, von denen die Menschen ein verändertes Denken eines Christen hierüber, erwartet hätten.
S.P.: Gibt es Themen, die Sie immer noch herausfordern?
V.S.P.: Es gibt so viele Felder, die ich nicht in Tiefe studiert habe. Selbst in der Mathematik, gibt es Fachbereiche, die ich nicht verstehe.
S.P.:Wann hatten Sie Ihren ersten Durchbruch zum Tri-Perspektivalismus (Triperspectivalism)?
V.S.P.:Ich bin mir nicht mehr sicher. Ich schrieb etwas über diese Geschichte in meinem Artikel, „Multiperspectivalism and the Reformed Faith“. Auf drei Quellen bin ich in etwa einem Jahr (1971-72) gestoßen: Kenneth Pikes triperspektiver Ansatz zur Linguistik, John Frames triperspektive Lehre am Westminster Seminary und Edmund Clowney’s Biblisch-Theologische Themen: Christus als Prophet, König und Priester. Ich habe keines dieser erfunden, doch ich sah, dass sie zueinander affin waren.
S.P.: Als Professor am WTS, was sind die Hauptlernfelder, die Sie ihren Studenten für einen lebenslangen Dienst mitgeben wollen?
V.S.P.: Ich betrachte das Wachstum in der Erkenntnis Gottes und in der Heiligung als das Thema Nummer 1. Der intellektuelle Inhalt und die gelernten Methoden könnten den Studenten für ein ganzes Leben helfen. Doch sie sind nicht der ultimative Vorzug, den die Gemeinschaft mit Gott so zentral macht.
S.P.: Was ist Ihrer Meinung nach die erschreckendste Entwicklung im amerikanischen (und weltweiten) Evangelikalismus?
V.S.P.: Ich bin über den Grad bestürzt, in dem sich der amerikanische Evangelikalismus durch den Mainstream der amerikanischen Kultur verführen lässt.
In jeder Kultur der Welt sind bibelgläubige Christen unter kulturellem Druck. Es kann vor allem Verfolgung oder vor allem Verführung sein. Keines davon ist neu, wie das Buch der Offenbarung uns erinnert. An so vielen Orten in dieser Welt, ist das Christentum schwach und oberflächlich. Und doch baut Gott seine Gemeinde. Es gibt so vieles, wo für wir dankbar sein können.
S.P.: Wie können insbesondere junge Menschen auf diese Entwicklungen reagieren?
V.S.P.:Benutzt weiterhin die Mittel der Gnade: Das Lesen in der Bibel, das Gebet und der regelmäßige Besuch einer bibelgläubigen Gemeinde. Abkürzungen sind nicht zu empfehlen. Für jene, die Zeit, Geld und Energie besitzen, ist eine formelle theologische Ausbildung an einer bibelgläubigen Einrichtung eine riesige verändernde Anlage für das ganze restliche Leben. Sie bringt den Gemeinden Vorzüge und weitere Vorteile für das ganze Leben, in allen nur möglichen Aspekten, ob Gebet, Geistliches Leben, Arbeit, Familie, Politik, Kunst… Die Meisten besuchen ein Theologisches Seminar mit der Absicht, Diener des Evangeliums zu werden. Doch das Seminar bringt für fast jeden Christen viele Vorteile.
S.P.: Wenn Sie nur drei Bücher auf eine einsame Insel mitnehmen könnten, welche wären dies?
V.S.P.: Zunächst die ESV Study Bible. Ich muss aber die RSV (Revised Standard Version) und die NEB (New English Bible) hinzufügen, weil ich mit diesen Bibelversen auswendig gelernt habe und sie gerne dabeihätte, um diese frisch zu halten. (Ich empfehle die NEB nicht, doch früher war das meine Auswendig-Lern-Bibel, bevor ich zu anderen Bibelübersetzungen griff.) Wenn es Bücher außerhalb der Bibel sein sollen, dann wäre es das New Bible Dictionary (oder ein anderes Bibel-Lexikon) und das New Bible Commentary. Wenn es kein theologisches Werk sein soll, dann würde ich C.S. Lewis Der König von Narnia mitnehmen.
S.P.: Vielen Dank für das Gespräch!