Meine erste und letzte Geldschuld

Als ganz kleiner Junge besuchte ich eine Mädchenschule. Eines Tages brauchte ich einen neuen Schiefergriffel, hatte aber kein Geld dabei. Ich war wirklich ein unachtsamer kleiner Kerl und hatte Angst, zu Hause getadelt zu werden, weil ich meine Griffel so oft verlor. Was also tun? In unserem Ort gab es ein kleines Geschäft, wo die alte Frau Pearson Nüsse, Kreisel, Kuchen und Bälle verkaufte, und ich hatte schon des öfteren gesehen, wie Jungen und Mädchen dort hatten anschreiben lassen. Ich dachte daran, dass ja bald Weihnachten sein würde, und sicher würde mir jemand dann einen Penny oder vielleicht sogar ein ganzes Sixpence-Stück schenken. Also würde ich diesen Griffel dort auf Pump kaufen und das Geld dann kurz nach Weihnachten zurückzahlen. Dies fiel mir nicht leicht, aber ich nahm all meinen Mut zusammen und ging in den Laden hinein. Der Griffel kostete einen Heller, und da ich bisher noch nie Schulden gemacht hatte, war mein Kredit gut, und ich erhielt den Griffel. Die nette alte Dame gab ihn mir, und plötzlich war ich verschuldet. Mir gefiel dies zwar nicht, ich hatte auch das Gefühl,  etwas Falsches getan zu haben, aber noch hatte ich keine Ahnung, wie bald ich dafür büßen sollte. Wie mein Vater von diesem kleinen Geschäft seines Sohnes erfuhr, weiß ich nicht. Irgend ein kleiner Vogel muss es ihm geflüstert haben. Jedenfalls nahm er sich meiner sehr bald in aller Ernsthaftigkeit an. Gott möge ihn dafür segnen!

Er war ein sehr feinfühliger Mann, keiner von der Sorte, die heutzutage die Kinder verderben. Er wollte nicht, daß seine Kinder Spekulanten würden, Menschen, die das tun, was jene großen Schurken Finanzieren nennen. Deshalb trieb er mir mein Schulden machen gründlich und auf einen Schlag aus. Es war eine kräftige Lektion über das Schulden-machen, wie sehr es dem Stehlen ähneln würde, wie Menschen dadurch zugrunde gerichtet würden, wie ein kleiner Junge, der heute einen Heller Schulden hat, eines Tages gut und gerne hundert Pfund Schulden haben kann und ins Gefängnis muss, und wie er dann seiner ganzen Familie Schande bringt. Ja, das war eine Lektion! Ich kann sie noch heute hören und spüre, wenn ich daran denke, noch immer die Tränen über meine Wange laufen. Dann wurde ich in das Geschäft geschickt, ähnlich einem Verräter, der ins Gefängnis geht. Den ganzen Weg weinte ich und schämte mich fürchterlich. Der Heller wurde bezahlt. Dann wurde der arme Schuldner frei gelassen, wie man einen Vogel aus einem Käfig frei läßt. Wie schön war es, frei von Schulden zu sein! Ich habe diese gute und wichtige Lektion nie mehr vergessen. Wenn man allen Kindern in diesem Alter diese Lehre beibrachte, würde das in ihrem späteren Leben Wagenladungen von Schwierigkeiten ersparen. Gott segne meinen Vater, sage ich, und schenke uns viele solcher Väter und bewahre uns davor, in Niederträchtigkeit unterzugehen, denn durch Schulden verfault die Nation wie Zunderholz. Seit jenem frühen Erlebnis hasse ich das Schulden machen wie Luther den Papst.

Diese interessante Begebenheit aus der Kindheit Spurgeons zeigt auf interessante Weise wie sehr sich doch die Zeiten geändert haben. In unserer vor Konsum protzenden Zeit kann man bestimmte Dinge gar nicht mehr ohne Schulden erreichen: Ein Haus lässt sich nur noch finanzieren. Unser ganzes System baut auf Schulden und Finanzieren auf und schließlich haben viele Staaten 15-stellige Beträge als Schulden. Zu früheren Zeiten nahmen viele Christen das Wort aus Römer 13,8 auch in der ersten Hälfte wörtlich (Anmerkung: Ich glaube auch viele andere Abschnitte des Wortes Gottes wurden wörtlicher und ernster genommen, man denke da nur an die Kleider- und die Musikfrage) “Seid niemandem etwas schuldig, außer dass ihr euch untereinander liebt”. Für viele Christen war es also eine Frage des Glaubens, ob man Schulden machte oder nicht. Dieses Erlebnis mit seiner Schuld war Spurgeon so wichtig, dass er diese Kindheitserinnerung noch einmal in dem Buch “Guter Rat für allerlei Leute – Reden hinterm Pflug” veröffentlichte (PDF). Hier erzählt Spurgeon übrigens weiter:

Von jenem Tage an habe ich Schuldenmachen gehasst. Wundert euch also nicht, wenn ich einige grimmige Ausdrücke darüber gebrauche. Von dem Augenblick an, als ich einen eigenen Haushalt begonnen habe, ist es stets meine größte Sorge gewesen, drei Dinge von meinem Heim fernzuhalten, nämlich Schulden, Schmutz und den Teufel. Und wenn auch der Letztgenannte zuweilen zur Tür oder zum Fenster hineingeschlichen ist, denn die alte Schlange windet sich auch durchs kleinste Loch herein, so haben doch die anderen zwei – mit Hilfe einer guten Frau, harter Arbeit, Ehrlichkeit und einigen Schrubbern – meine Schwelle nicht überschritten. Schulden sind etwas so Demütigendes, dass, wenn ich jemand einen Groschen schuldig wäre, ich lieber vier Meilen mitten im Winter zu Fuß gehen würde, um ihm den zu bezahlen, als das Gefühl zu haben, dass ich eine Verpflichtung ihm gegenüber hätte. Wenn ich beim Kaufmann und beim Bäcker und beim Schneider in der Kreide wäre, so würde ich mich gerade so behaglich fühlen, als wenn ich Erbsen in den Schuhen oder einen Igel im Bett hätte…

Übrigens: Diese Geschichte ist ein Ausschnitt aus einem meiner Lieblingsbücher: Es handelt sich hierbei um die Autobiographie Spurgeons (S. 25f.). Eine Online-Version findet sich hier. Da dieses Buch zahlreiche kurze Episoden aus Spurgeons Leben enthält und Einblicke in die damalige Zeit gibt, wird hier bei nimm-lies.de  jeden Donnerstag ein Artikel mit kurzen Besprechungen der Erlebnisse des Predigerfürsten veröffentlicht.

Titel: Alles zur Ehre Gottes
Unter­ti­tel: Auto­bio­gra­phie
Autor: Charles H. Spurgeon
Sei­ten: 330
For­mat: ca. 15 x 22 cm
Ein­band: Hardcover
Ver­lag: CLV
ISBN: 978-3-89397-335-4
Preis: 14,90 EUR
erhält­lich bei: cbuch.de

4 Kommentare zu „Meine erste und letzte Geldschuld“

  1. Hat zwar nix mit dem Thema zu tun, aber da du es abgerissen hast: was sagt denn die Bibel zum Thema Musik, das nicht wörtlich genug genommen wird?

    Gruß

  2. Hallo Andi,vielen Dank für deinen Beitrag: Deine Frage ist wohl eine Gebetserhörung von mir! In dieser öffentlichen Kolumne, die hier angekündigt wird, werde ich auch mal einen Artikel zum Thema Spurgeon und Musik machen, da können wir auch deine Frage sicherlich gut diskutieren! Wenn du jedoch schon früher meine Meinung zu dieser Frage hören möchtest, dann sende doch einfach eine kurze Mail bei Kontakt und ich weiß dann, dass ich mich bei dir melden darf! Schließlich ist das hier in erster Linie ein Blog, der Bücher / Autoren / etc… vorstellt :-).

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