John Bunyan: Die Pilgerreise (neue Ausgabe) - Teil 2

Quelle: www.scm-brockhaus.deIm ersten Teil der Buchbesprechung habe ich einige Gründe genannt, warum ich das Buch Die Pilgerreise von John Bunyan gut finde und jedem empfehlen kann. Im zweiten Teil gehe ich auf die sprachliche Neubearbeitung der Pilgerreise ein, die dieses Jahr im SCM R. Brockhaus Verlag erschienen ist. Wenn ich Vergleiche anstelle, beziehe ich mich auf die ältere Ausgabe von 1998. Weil dieser Artikel recht lang geworden ist, werde ich im nächsten Beitrag auf das Vorwort von Johannes Falk eingehen. Hier also die Vor- und Nachteile der sprachlichen Neubearbeitung.

1. Sie ist ideal zum Vorlesen.

Wer schon ein Mal die ältere Ausgabe der Pilgerreise jemanden vorlesen musste, wird gemerkt haben, dass sie dafür nicht so gut geeignet ist. Holprig ist es vor allem bei den vielen Dialogen. Hier zuerst ein Auszug aus der alten Ausgabe (S.153):

Kurze Zeit später sahen sie in der Ferne jemanden, der ihnen auf der Straße entgegenkam. “Dort vorn ist ein Mann, der Zion den Rücken gekehrt hat”, sagte Christ zu seinem Gefährten, “und er kommt uns entgegen.”

Hoffnungsvoll: “Ich sehe ihn. Laß uns diesmal gut aufpassen, ob er nicht auch ein Schmeichler ist.”

Der Mann kam immer näher, bis er schließlich vor ihnen stand. Sein Name war Atheist, und er fragte sie, wohin sie wollten.

Christ: “Wir sind unterwegs zum Berg Zion.”

Da brach Atheist in lautes Gelächter aus.

Christ: “Warum lachst du so?”

Atheist: “Ich lache, weil ich sehe, was für Dummköpfe ihr seid, eine so mühselige Reise auf euch zu nehmen, wo ihr doch am Ende für all eure Mühe nichts als die Reise selbst bekommen werdet.”

Christ: “Warum sagst du das? Meinst du, man wird uns nicht aufnehmen?”

Atheist: “Aufnehmen? Diesen Ort, von dem ihr träumt, gibt es überhaupt nicht, auf der ganzen Welt nicht.”

Christ: “Aber in der zukünftigen Welt.”

Die gleiche Passage jetzt aus der überarbeiteten Fassung. Die wörtliche Rede ist hier anders verarbeitet (S. 134):

Nach einer Weile erblickten die Pilger in der Ferne einen Mann, der ihnen langsam und ganz allein auf der Straße entgegenkam.

“Der Mann hat Zion den Rücken gekehrt”, sagte Christian. Er kommt uns entgegen.”

“Ich sehe ihn. Lass uns jetzt vorsichtig sein”, riet Hoffnungsvoll. “Vielleicht ist er auch ein Verführer.”

Als der Mann bei ihnen angekommen war, erfuhren sie, dass sein Name Atheist war. Er fragte sie, wohin sie gingen.

“Wir gehen zum Berg Zion”, sagte Christian.

Daraufhin brach Atheist in lautes Gelächter aus.

“Warum lachst du?”

“Ich lache über eure Dämlichkeit, dass ihr eine so anstrengende Reise unternehmt. Für alle eure Mühe werdet ihr keinen anderen Lohn bekommen als den Rückweg für den Heimweg.”

“Wieso?”, fragte Christian, “glaubst du denn, wir würden dort nicht angenommen?”

“Angenommen?”, wiederholte Atheist. “Die Stadt, von der ihr träumt, ist in der ganzen Welt nicht zu finden.”

“Aber doch in der zukünftigen Welt.”

2. Einige Namen von Personen und Orten wurden geändert.

Aus Christ wurde Christian, wie der die Hauptperson im ersten Teil auch im englischen Original heißt. Doch warum Stur jetzt Eigensinnig heißt, Willig zu Gefügig und Weltklug in Weltlich umbenannt wurde kann ich nicht ganz nachvollziehen. Einige Namen wurden zu Recht an die heutige Sprache angepasst. Aus Simpel, Faul und Dünkel wurden Einfach, Faul und Vermessen. Der Markt der Eitelkeiten heißt jetzt Markt der Nichtigkeiten. Nur Zion heißt immer noch Zion. Mit diesen Änderungen kann man leben, auch wenn ich es bevorzugt hätte, wenn die Eigennamen behutsamer und an nur wenigen Stellen geändert worden wären.

Aus dem obigen Dialog ist auch ersichtlich, dass in der neuen Ausgabe die Eigennamen nicht mehr kursiv gesetzt sind. Das finde ich schade, denn so ist das Auffinden der Namen schwieriger und die besondere Namensgebung ist nicht mehr so auffällig.

3. Verweise zu Schriftstellen fehlen.

In meiner alten Ausgabe schätze ich sehr die Schriftstellenverweise. Der erste Teil enthält 286 und der zweite 157 Endnoten zu Bibelstellen. Diese Masse beeindruckt mich und hat mich immer wieder überrascht. Spurgeon, der die Pilgerreise jedes Jahr las, schreibt über Bunyan:

“Wenn du etwas von ihm liest, dann ist es fast so, als läsest du die Bibel selbst. Er las und studierte die Authorized Version, die, wie ich urteile, nicht verbessert werden kann, bis Christus wiederkommt. Er hat die Bibel gelesen, bis seine ganze Sprache von ihr durchtränkt war. Und wenn das, was er geschrieben hat, auch eine faszinierende Dichtung ist, so fühle ich doch, wenn wir seine Pilgerreise – die beste aller Prosadichtungen – in die Hand nehmen, jedes Mal: “Dieser Mann ist ja eine lebende Bibel!” Wo immer du ihn auch anzapfst, wirst du feststellen: Sein Blut ist Biblin, die Essenz der Bibel selbst. Er kann nicht sprechen, ohne ein Bibelwort zu zitieren, denn seine Seele ist voll des Wortes Gottes.”

Dieser Eindruck wird in der neuen Ausgabe geschwächt, weil die Bibelzitate zum einen oft nicht wörtlich übersetzt und die Schriftstellen nicht in den laufenden Text oder in die Fußnoten mit aufgenommen wurden. Im Anhang findet man zwar ein thematisches Bibelstellenverzeichnis, aus dem aber nicht der Bezug zu den jeweiligen Passagen ersichtlich ist.

4. Bunyans  Poesie wurde an vielen Stellen gestrichen.

Die ältere Ausgabe und auch das englische Original beginnen mit einer poetischen Apologie des Buches. Die deutsche Übersetzung der englischen Poesie ist meiner Ansicht nach ein Meisterstück. Exemplarisch zitiere ich hier fünf Zeilen aus seiner Rechtfertigung, die dem modernen Leser durchaus zumutbar sind:

Die Heil’ge Schrift, so wag’ ich zu behaupten,
in Stil und Ausdruck Maßstab des Erlaubten,
ist überall so voll von Dingen
(Allegorien und Bildern), und doch springen
aus jenem Buche Lichter ohnegleichen,
daß unsre finstre Nacht dem Tag muss weichen.

Bunyan verwendet Poesie meistens dann, wenn er etwas Wichtiges zusammenfassen oder zu einem neuen Thema wechseln möchte. Schade, dass in der neuen Ausgabe die meisten Reime gestrichen wurden. Interessanterweise hat man die kurzen Gedichte im zweiten Teil an vielen Stellen doch aufgenommen.

Fazit

Den Übersetzern ist ein gutes Werk gelungen. Die sehr leserfreundliche Neuausgabe, ist trotz einigen Kürzungen und Veränderungen eine adäquate Übersetzung eines Klassikers gelungen, der es auch heute noch verdient, gelesen zu werden. Die beschriebenen Änderungen und Weglassungen werden nur denjenigen auffallen, die die älteren Ausgaben kennen. Und trotzdem finde ich es schade, dass die neu hinzukommenden Pilgerreise-Leser auf einige Privilegien verzichten müssen.

Wer sich noch eine alte Ausgabe kaufen möchte, kann das zu einem überhöhten Preis bei Amazon oder etwas günstiger bei booklooker tun.

Titel: Die Pil­ger­reise
Autor: John Bunyan
Sei­ten: 286
For­mat: 13,5 x 20,5 cm
Ein­band: Hard­co­ver
Jahr: 2012
Ver­lag: SCM R. Brock­haus
Preis: 14,95 EUR (E-Book: 11,99 EUR)
erhält­lich bei: SCM R.Brock­haus, cbuch.de

6 Kommentare zu „John Bunyan: Die Pilgerreise (neue Ausgabe) - Teil 2“

  1. Hmm … da bleibe ich dann doch lieber bei der alten Ausgabe (und bin gleich motiviert, diese mal wieder zu lesen). Danke für die Hinweise! LG René

  2. Hi Eddi, danke für deine Ausführungen. Die Ausgabe von 1998 ist aber schon eine sprachlich überarbeitete Version. Du vergleichst hier also 2 bereits sprachlich überarbeitete Versionen miteinander. Ich habe grade mal die gleiche Stelle aus meiner Version von 1990 angeschaut. Dort steht am Anfang:

    Nach kurzer Zeit erblickten sie auf der Straße einen Mann, der langsam und ohne Begleitung ihnen entgegenkam.
    Da sprach Christ zu seinem Gefährten: ” Dort sehe ich einen Mann auf uns zukommen, der Zion den Rücken gekehrt hat.”
    Hoffnungsvoll erwiderte: “Ich sehe ihn wohl; laß uns nun auf unser Hut sein, vielleicht ist er auch ein Verführer.”
    Als er nun – sein Name war Atheist (Gottesleugner) – mit den Pilgern zusammentraf, redete er sie an und fragte nach dem Ziel der Reise.
    “Wir gehen”, antwortete Christ, “nach dem Berg Zion.”
    Bei diesen Worten brach Atheist in ein lautes Gelächter aus.
    Christ: Was soll dein Lachen bedeuten?
    Atheist: Daß ihr so unwissende Menschen seid und einen so beschwerlichen Weg geht, von dem ihr nichts als Elend ernten werdet.
    Christ: Warum? Meinst du, wir würden nicht angenommen werden?
    Atheist: Nicht angenommen? Es gibt in der ganzen weiten Welt keinen solchen Ort, wie ihr euch träumen laßt.
    Christ: In dieser Welt allerdings nicht, aber in der zukünftigen.

    Ich mag den alten Stil lieber. 1998 gefällt mir hier noch am wenigsten. Interessant wäre es zu erfahren, ob die Souveränität Gottes in der neuesten Version auch noch so hervorgehoben wird wie in den älteren Versionen. Oder ob hier dem “Evangelikalen Mainstream” Tribut gezahlt und sie etwas abgeflacht wurde.

    Vg Joel

  3. Ich muss gestehen, dass mir die neue Ausgabe besser gefällt, als die älteren. Zumindest was die Übersetzung angeht, kann ich sie sehr empfehlen. Was die Souverenität Gottes beetrifft, kann ich nichts sagen, weil ich darauf nicht geachtet habe und auch längst nicht alles verglichen habe. Mir ist aber nicht aufgefallen, dass am Sinn des Textes geschraubt wurde.

  4. Joel, danke, dass du erwähnt hast, dass es noch ältere Ausgaben von der Pilgerreise gibt. Ich habe leider keine zur Hand und kenne sie auch nicht.

  5. Hallo, obwohl die Kommentare hier schon etwas älter sind, wollte ich meinen Senf kurz mitgeben. Ich habe dieses Exemplar hier auf Englisch: http://www.christianbook.com/pilgrims-progress-search-eternal-christian-allegory/john-bunyan/9780800786090/pd/0786092?item_code=WW&netp_id=129610&event=ESRCG&view=details.
    Dieses Buch enthält den text, der letzten zur Lebenszeit Bunyans ausgegebenen Auflage.
    Ich habe dieses Original mit dem hier rezensierten Buch verglichen.
    Es ergeben sich für mich einige Feststellungen:
    1) Im Original fehlen diese ganzen Erklärungen und Kommentare, die wohl später in pietistischen Kreisen eingeführt wurden, um jeglichen Missverständnis zu vermeiden. Hier folgt die Neubearbeitung also Bunyans Werk
    2) Das Original von Bunyan ist aber an sich kein modernes Englisch, da haben ältere übersetzungen besser gepasst was die Schärfte der Ausdrücke und vieles andere angeht. ich kann es nicht ganz verstehen, wenn Menschen versuchen die Gedanken der Väter in unseren Worten ausdrücken. (irgendwann mache ich hier mal ein Beitrag zum thema Ethymologie :-)). Da der Sinn der Worte auch in den Worten drinn ist, somit habe ich etwas Schwierigkeiten mit dieser hier beschriebenen Neuübertragung.

  6. Pingback: Wochenauslese KW 27 & 28 | lgvgh – ein Blog von Viktor Janke

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