Was bedeutet eigentlich “evangelikal”? Hier einfach auf die (ehemals) einheitliche Haltung zur Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift zu verweisen, trifft nicht zu, da auch Zeugen Jehovas und Adventisten in dieser Hinsicht “bibeltreu” sind. Es gibt auch die Möglichkeit “Evangelikal” als Synonym für den ganzen Protestantismus zu sehen, so wie es immerhin niemand Geringeres als der Oxforder Historiker Diarmaid MacCulloch in seiner Reformationsgeschichte tut. Hier tut die Sprache ihr Übriges. Evangelisch ist im Englischen bekanntlich auch “evangelical”. Doch wäre der große Vorsitzende des Rates der EKD Herr Bedford-Strohm, so denke ich, alles andere als glücklich darüber, wenn man ihn als evangelikal bezeichnen würde….
In Deutschland verbindet man Evangelikalismus wiederum häufig mit einer baptistischen Taufpraxis, dass wiederum vor allem dem angelsächsischen konservativen Evangelikalismus, ja selbst dem Fundamentalismus nicht gerecht wird, wenn man hier an die Bedeutung des Presbyterianismus denkt. Ist es vielleicht das Festhalten an einem Kurz-Zeit-Creationismus? Auch hier würde dann mindestens Warfield, Packer und wahrscheinlich auch Keller aus dem Rahmen fallen.
So muss auch Elwell, der Herausgeber des “Handbooks of Evangelical Theologians“ zugeben: “Was ist eigentlich Evangelikalismus? (…) Es sollte keine einfache einzelne auf diese Antwort zu geben. Jeder scheint auf eine intuitive Weise zu wissen, was Evangelikalismus bedeutet, doch wenn es darauf ankommt seine Bedeutung niederzuschreiben, lassen sich keine zwei identischen Definitionen finden.”
Dennoch ist Elwell eine gute Auswahl gelungen. Dabei schränkt er den Rahmen seines Lexikons weiter ein: Es werden nur Persönlichkeiten betrachtet, die zumindest einen Teil ihrer Karriere im letzten Jahrhundert hatten, die sich mit der evangelikalen Bewegung identifizieren konnten, und die ihr vornehmliches Interesse an der Theologie, statt an biblischen Studien besaßen. Damit erstreckt sich Elwells Rahmen immer noch über zahlreiche Denominationen, ob nun arminianisch, calvinistisch, charismatisch, lutherisch oder baptistisch. Entpsrechend erstreckt sich dieses Handbuch auf Personen wie Augustus Strong (immerhin 1836 geboren), Franziskus Piper, Cornelius Van Til, aber auch Helmut Thielicke und John Walvoord.
Es ist eigentlich genau das Wörterbuch, was ich schon länger gesucht habe. Die biographischen Artikel geben nicht nur Stationen im Leben der Personen wieder, sondern konzentrieren sich in besonderer Weise auf die Rezeption ihres Werkes und ihres Einflusses im Evangelikalismus. Z.B. bekommt man beim sehr weitreichenden Werk von Carl F.H. Henry, einem Theologen, der in Deutschland nie die Bedeutung erreicht hat, die ihm zustehenden sollte, so überhaupt einen Zugang. In einem anderen Fall, nämlich Louis Berkhof, war es mir zum ersten Mal überhaupt möglich, eine derart ausführliche Biographie, mit so vielen ausführlichen Informationen zu Person, Werk und Einfluss dieses Dogmatikers zu finden. Es ist erfrischend zu sehen, welche Giganten das oft so belächelte zwanzigste Jahrhundert auch im Evangelikalismus herausgebracht hat.
Das Werk besitzt auch einige Schwächen. So vermisst man schnell einige Personen, Bavinck z.B. Auch wären Artikel, die sich nicht auf einzelne Personen konzentrieren, sondern eine verbindende oder eine Transfer-Funktion besitzen, hilfreich. Nun kann es aufgrund der harten politischen Situation in China kaum akademisch tätige Evangelikale geben (und gegeben haben), bedeutet das aber zwangsläufig, dass der chinesische (oder auch koreanische) Evangelikalismus für das zwanzigste Jahrhundert nichts zu sagen hätte? Das Wörterbuch enthält so eine zu sehr angelsächsische, eine zu wenig globale Note. Relativ offen werden historische Entscheidungen im Leben der Personen dargestellt, aber auch hier wären Transferartikel hilfreich. Nicht nur die besprochenen Personen waren entscheidend für den Aufstieg des Dispensationalismus in den USA oder die Krise des Fundamentalismus nach dem ersten Weltkrieg. Das wären feine Artikel geworden, wenn man sie sauber recherchiert hätte. Ähnlich wären auch Artikel über die Entwicklung von Bildungseinrichtunge, aber auch Zeitschriften und Verlagen denkbar.
Das letzte Manko, rein technischer Natur. Es blieb bei der ersten Auflage, die bereits über 25 Jahre alt ist. Eine Aktualisierung müsste dann auch Theologen wie Carson oder Piper einbinden.
Dieses Handbuch ist übrigens nicht das einzige Lexikon, dass Elwell herausgab. Bei Logos lässt sich ein achtbändiges Set erwerben. Auch das von mir besprochene Werk ist Teil meiner Logos Bibliothek und ist jedem empfehlen der sich an einen der Väter des Evangelikalismus wagen möchte und nach einem Startpunkt sucht, wo er anfangen kann! Es ist ein reiches Erbe, das hier auf uns wartet!