Fast jeder meiner Logos-Kommentare zum Jakobus-Brief nimmt Bezug auf Luthers Geringschätzung des Jakobusbriefes. Luther machte wenig Hehl daraus, dass er nicht viel für diesen Brief übrig hatte. Aber lasst ihn dahin fahren! Ich will lieber Luthers Werk vergessen und von allen Lutheranern getrennt sein, als nicht den Jakobusbrief zu besitzen.
In meiner christlichen Bubble hat man den Jakobusbrief immer wertgeschätzt. Ein kostbares Erbe meiner Kindheit und russlanddeutschen Prägung ist es, dass ich sogar angehalten wurde, diesen Brief auswendig zu lernen. Ein lohnenswerter Invest für gerade mal 108 Verse.
Im folgenden möchte ich skizzenhaft davon berichten, was ich am Jakobusbrief wertschätze und auf ein paar Einwände eingehen, die uns ggf. vom Lesen und Umsetzen des Jakobusbriefes abhalten könnten.
Seelsorgerliche Qualität
Der Brief ist kurz, sehr praktisch und von unerwarteter seelsorgerlicher Qualität. Immer wieder fallen mir neue Perlen auf. Eine Auswahl.
Versuchungen als Grund zur Freude:
Jakobus ist furchtbar realistisch. Versuchungen sind nicht der Ausnahmezustand, sondern die Norm. Ja, Versuchungen und Freude können Hand in Hand gehen: “Meine Brüder und Schwestern, erachtet es für lauter Freude, wenn ihr in mancherlei Anfechtung fallt”, (Jak. 1,2) ruft der Autor uns zu. Er blickt auf das Ziel überstandener Anfechtungen: Vollkommenheit (V.4). In den Versuchungen ist Gott am Werk mit einem Ziel. Die Weisheit hier durchzublicken mag uns fehlen, doch wir wissen wo wir um Hilfe flehen dürfen. Jakobus hat hier unsere Probleme im Blick: Will Gott uns in unseren Anfechtungen etwa wirklich erhören? Natürlich, deswegen sollen wir Zweifel meiden(V.7). Jakobus hat dabei nicht nur feinsinnige oder feingeistige Anfechtungen im Blick, sondern durchaus auch materiellen Mangel (V9-11), aber auch materiellen Erfolg und verweist auf die richtige Reaktion darauf. Der Reiche soll sich nicht durch seinen Erfolg zum Stolz verführen lassen, sondern sich unter Gottes Hand demütigen. Der Arme und Niedrige, braucht nicht zu verzweifeln, sondern darf sich seiner Höhe (in Christus) rühmen.
Immer wenn ich mich über Anfechtungen “aufregen” möchte und sie als “unfair” empfinde. Erinnere ich mich an Jak. 1,2-12.
Sünde als geistlicher Ehebruch, Herzensprobleme und Buße
Blicken wir auf Jak. 4,1-10: Ja woher kommt unser Streit? Aus unseren Gliedern! Statt miteinander zu streiten, neidisch zu sein, sollten wir vielmehr mit uns streiten. Doch Jakobus blickt zunächst einmal auf den ganzen Umfang der Sünde, und wie sie immer mehr Lebensbereiche ansteckt (V.1-3). Beten wir nur darum, dass der Streit aufhört und nicht unser Herz verändert wird, brauchen wir nicht auf Erhörung zu warten (V.3). Interessant ist aber nun Jakobus’ Analyse der Situation: Der Grund ist geistiger Ehebruch. Einerseits ist das durchaus auch eine gute Botschaft: Ehebruch kann nur einer begehen, der verheiratet ist, also vereinigt mit Gott. Jakobus weißt darauf hin, wie irre es ist, als Christ zu sündigen! Kein Wunder ereifert sich Gottes Geist ins Unermessliche! (5-6). Jakobus sieht einen klaren Ausweg. Er schließt diesen Abschnitt mit einem der ergreifendsten Aufrufe zur konsequenter Buße im Neuen Testament überhaupt (V.7-10).
Künstlerische Qualität
Der Jakobusbrief sticht durchaus heraus im Neuen Testament. Unter anderem:
Fortsetzung der Bergpredigt
Wenn wir annehmen, dass der Jakobusbrief das erste Werk des Neuen Testamentes ist, ist es kein Wunder das Jakobus vor allem so lehrt, wie es sein Meister Jesus Christus getan hat: Das ganze Gesetz Gottes. Aber nicht als Gesetz der Knechtschaft! Nein, sondern als Gesetz der Freiheit: “Wer aber sich vertieft in das vollkommene Gesetz der Freiheit und dabei beharrt und ist nicht ein vergesslicher Hörer, sondern ein Täter, der wird selig sein in seinem Tun.” (1,25). Tatsächlich erinnert vor allem das Ende des Briefes an die Bergpredigt: “Vor allen Dingen aber, Brüder und Schwestern, schwört nicht, weder bei dem Himmel noch bei der Erde noch mit einem andern Eid. Es sei aber euer Ja ein Ja und euer Nein ein Nein, damit ihr nicht dem Gericht verfallt.” (5,12)
Das Sprüchebuch des Neuen Testaments
Viele Verse des Jakobusbriefes sind von sprichwörtlicher Qualität: Denken wir an die drei Gesetze der Sanftmut: “Seid schnell zu hören, langsam aber zum Reden und langsam zum Zorn” (Jak.1.19). “Der Glaube ohne Werke ist tot”, weckt uns Antinomisten aus dem Schlaf! Jakobus möchte uns Weisheit weitergeben, auch dafür findet sich eine prägnante Stelle in Jak.3,17: “Die Weisheit aber von oben her ist zuerst lauter, dann friedfertig, gütig, lässt sich etwas sagen, ist reich an Barmherzigkeit und guten Früchten, unparteiisch, ohne Heuchelei.”.
Das alles darf uns keineswegs darüber hinwegtäuschen, dass es eine ganz klare Struktur im Jakobusbrief gibt. Die zwei obigen Beispiele aus Jak. 1,2-12 und 4,1-10 habe ich gezielt so gewählt um zu zeigen, dass Jakobus nicht lose Gedanken an einander kettet, sondern durchaus eine klare Struktur im Brief besitzt und diese auch konsequent durchzieht: Gott richtig dienen!
Schwer und Leicht zu verstehen gleichzeitig
Dadurch, dass Jakobus eher für sich selbst stehende Bilder und Metaphern verwendet, ist der Brief leicht zugänglich, auch z.B. für Neubekehrte. Er ist halt ein Brief einer jungen Gemeinde. Wenn z.B. Jakobus die Zunge mit einem kleinen Ruder eines mächtigen Schiffes vergleicht oder mit einem kleinen Feuer, das einen mächtigen Brand anrichten kann, dann sind das leichte Bilder (3,3-6). Jakobus schreckt nicht vor drastischen Ausmalungen zurück: Alle Tiere können gezähmt werden, aber nicht die Zunge! Keine Quelle ist gleichzeitig süß und bitter, doch unsere Zunge ist es oft. Sie lobt Gott und flucht dem Nächsten (3,7-12).
Dass wir die Ehe mit Gott brechen, wenn wir Freundschaft mit der Welt haben ist ein Konzept das schnell greifbar ist (4,4), auch wenn wir das biblische Konzept der Vereinigung mit Christus noch nicht vollständig ergriffen haben.
Aber das soll uns nicht zu leichtfertigen Lesern des Briefes machen. Es geht durchaus darum, das “vollkommene Gesetz Gottes zu durchschauen” (1,25). Das kann nicht so einfach gehen, damit wir nicht nur vergessliche Hörer des Wortes bleiben, sondern Täter des Wortes. Blicken wir noch einmal auf 4,4 in seinem näheren Kontext zurück: Das was Jakobus als Freundschaft mit der Welt betrachtet, ist so doch ziemlich anders, als das was häufig “Listen dieser Welt” anführt. Jakobus hat Streit, Neid, Zank, Üble Absichten im Blick, die unsere Freundschaft mit der Welt ausdrücken.
Das der Jakobusbrief auch schwer zugänglich ist, missverstanden und übersehen wird, wird auch deutlich, dass relativ selten über und aus ihm gepredigt wird. Einige weitere Gefahren, den Jakobusbrief zu hastig zu lesen, da er doch verdaut werden muss, finden sich im nächsten Abschnitt.
Achtung: Zu schnelle Schlussfolgerungen
Ich möchte drei Beispiele erwähnen, in denen zu voreilige Schlussfolgerungen zu einem nicht ganz passenden Fazit führen.
Jak 1,27
“Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott, dem Vater, ist der: die Waisen und Witwen in ihrer Trübsal besuchen und sich selbst von der Welt unbefleckt halten.”
Es wäre ganz korrekt hier davon auszugehen, dass man schon ganz ordentlich Gott dient, wenn man verwitweten Frauen regelmäßig einen Hausbesuch abstattet. Der Grund? “Witwen und Waisen in ihrer Trübsal zu besuchen”, meinte in einer Zeit ohne Sozailstaat immer finanzielle, praktische Unterstützung, ggf. auch Versorgung und Pflege. Das war reinste Knochenarbeit. Auch sollte man den “Nicht-Fall” aus 1,26 in die Betrachtung mit einziehen und schließlich nicht “von der Welt unbefleckt erhalten” (zunächst) im Kontext des Jakobusbriefes betrachten.
Jak. 1,23-24
Denn wenn jemand ein Hörer des Worts ist und nicht ein Täter, der gleicht einem Menschen, der sein leibliches Angesicht im Spiegel beschaut; denn nachdem er sich beschaut hat, geht er davon und vergisst von Stund an, wie er aussah.
In die Bibel soll man blicken, wie man morgens in den Spiegel blickt. Dabei verstehe ich diesen Vers so, dass man eben nicht so machen muss. Zumindest mir geht es so, dass ich eben tatsächlich sofort nachdem ich nicht mehr in den Spiegel blicke , vergesse wie ich aussehe. In Gottes Wort gilt es, um dieses zu durchschauen, eben anders zu blicken, um von einem Hörer auch ein Täter des Wortes zu werden.
Glaube und Werke
In der Betrachtung der “guten Werke”, und Jakobus greift zu dem starken Beispiel der finanziellen Unterstützung Bedürftiger, muss dennoch beachtet werden, dass beide Werke, die Jakobus als echte Glaubenswerke der Heiligen sieht, zwei doch sehr dubiose, ja problematische Werke aufführt, wenn dahinter kein echter Glauben stehen würde: Abraham tötete seinen Sohn und Rahab verriet ihre Heimat (Zum Thema Glaube und Werke weiter unten etwas mehr).
Dringend nötige Neuentdeckungen
Über den Jakobusbrief wird selten gepredigt. Manche Abschnitte verstauben aber nahezu komplett. So denke ich z.B. an die enge Beziehung die Jakobus zwischen dem Dreisatz: Glaubenswerke, Zunge im Zaun halten und Ansehen der Person zieht (2,1-9). Jakobus hat wohl das ganze Gesetz Gottes im Blick (2,12). Gott hat die Armen und Niedrigen erwählt, wir aber ignorieren und diskriminieren sie (2,6-9). Schon mal eine Predigt über diesen Abschnitt gehört?
Ich habe aber auch “weises Sprechen” im Blick. Das wir bei unserer Wortwahl weise sein sollen, ist wohl eine These die man häufig hört. Aber die Absichten dahinter sind oft andere, als die Jakobus im Blick hat: Wenn man eher zuhört, bekommt man Autorität und vermittelt Sicherheit. Kann besser auftreten usw… Jakobus aber wirft uns etwas anderes zu: Es geht darum, dass wir mit einem losen Mundwerk nicht mehr Gott dienen können. Und das wir die Weisheit, der Zunge halt zu gewähren nur bekommen, wenn wir Sanftmut und Weisheit von oben herab anreichern. Auch hier geht es mir um die sehr enge Beziehung, die Jakobus zwischen 2,1-12 und 2,13-18 zieht.
Schließlich habe ich auch die Art im Blick, wie Jakobus mit alttestamentlichen Vorbildern umgeht. Sie sind nicht nur christologische Vorbilder einer messianisch-alttestamentlichen Entwicklung, sondern ganz praktische Vorbilder für Nachfolge: z.B. Elia für beharrliches Gebet (5,17), Hiob für das Ausharren in Leiden (5,11): “Nehmt zum Vorbild des Leidens und der Geduld die Propheten, die geredet haben in dem Namen des Herrn.” (5,10) – Jakobus ruft uns zur Imitatio Christo auf.
Mögliche Stolpersteine
Zuletzt möchte ich auf einige mögliche Vorannahmen blicken, die schädigend für das Lesen des Briefes sein können.
Sind Werke ein notwendiges Übel?
Manchmal liest man Dinge, die wie eine Rechtfertigung für gute Werke klingen. So als müsste man sich für gottesfürchtige Taten schämen! Oder als spiele Unterordnung unter Gott nur eine “untergeordnete” nebensächliche Rolle. Oder als wären Werke, ein notwendiges Übel, das sich nicht umgehen liesse. Ich fürchte das sagt mehr über unser böses Herz aus, als über Jakobus’ Verständnis von Gnade und Rechtfertigung aus dem Glauben allein. So klingen für mich die Versuche, “das paulinische Verständnis” mit dem “jakobischen” zu harmonisieren, zumeist eher fragwürdig. Ich sehe wenig Notwendigkeit für Harmonisierungen. Auch hatte Paulus wenig Skrupel damit seinen eigenen Brief über die Notwendigkeit der Werke zu schreiben, nämlich den Titusbrief. Ich frage mich, ob wir hier schon irgendwie bibelkritisch vorbelastet sind. In der modernen Bibelwissenschaft ist es üblich die Pastoralbriefe als “nicht authentisch” (sprich nicht von Paulus stammend) zu vernachlässigen. Schreibt so ein Autor über sein Verständnis von Paulus’ Theologie, wird er ja den Titusbrief und die Timotheusbriefe kaum oder wenig berücksichtigen. Was entsteht ist also schon eine verzehrte Darstellung des Werkes von Paulus mit einem höheren Drang diesen verzehrten Paulus mit einem (anders verzerrten) Jakobus zu harmonisieren.
Hätte Jakobus seinen Brief anders geschrieben, wenn er den Galaterbrief gekannt hätte?
Das ist eine ähnliche These wie oben, mit einem leicht anderen Schwerpunkt: Nicht nur Kapitel 2 über die Glaubenswerke, sondern der ganze Jakobusbrief wird damit angegriffen. Schließlich hat Jakobus kaum Bezüge zu Christus (1,1 und 5,11?). Ist der Jakobusbrief somit womöglich eher ein alttestamentliches Werk, entstanden in einem jüdischen Ringen über die Bedeutung des Kreuzes und Verdienstes Christi, eigentlich noch ganz “unevangelisch”? Hat Jak. in seinen Empfängern womöglich nur Juden (und fromme Proselyten) im Blick gehabt, da noch vor der Bekehrung von Kornelius verfasst? – Und plötzlich produzieren wir ein Werk, das uns unkanonischer erscheint, als das ganze Alte Testament: In irgendeiner Weise unreif und unfertig. Ich sage nicht, dass jemand diese These in dieser Schärfe formuliert, aber doch glaube ich, dass unterschwellig häufig Überlegungen ähnlicher Art unsere Haltung zum Jakobusbrief prägen. Vielleicht war Luther an dieser Stelle einfach ehrlicher mit seinen Skrupeln als wir?- Im Grunde ist dieses Problem eher eine Folge einer Trennung von Neuem und Altem Testament und einer Vernachlässigung von Letzterem. Eine einfache Lösung für dieses Problem wird sich nicht so ohne weiteres finden lassen, als ersten Schritt empfehle ich hier die zahlreichen Verknüpfungen von Neuem zu Altem Testament neu zu entdecken.
Fazit
Es lohnt sich, den Jakobusbrief neu zu entdecken: “Redet so und handelt so als Leute, die durchs Gesetz der Freiheit gerichtet werden sollen. Denn es wird ein unbarmherziges Gericht über den ergehen, der nicht Barmherzigkeit getan hat; Barmherzigkeit aber triumphiert über das Gericht. Was hilft’s, Brüder und Schwestern, wenn jemand sagt, er habe Glauben, und hat doch keine Werke? Kann denn der Glaube ihn selig machen?” (Jak 2,12-14)