Ich denke Werke wie Narnia, Herr der Ringe (im Folgenden auch LoR) oder nehmen wir auch Harry Potter“ dazu, sind gut geeignet die „Konservativität“ vor allem reformierter Kreise zu bewerten. Da gibt es die schrumpfende Gruppe der Strengen, die Fantasy-Literatur völlig verbannt, dann finden sich nicht ganz so scharf getrennte Bereiche, die je nach dem nur Lewis den Vorzug geben, oder gleich von LoR und Narnia schwärmen. Mich irritierte an diesen Gruppen immer, warum die Liste immer so klein ist. Das führt eine andere Gruppe ein: Überall erkennt sie eine Parallele zu Jesus, ob es nun Aslan, Gandalf, Harry Potter oder Batman sei (Die Parallele dieser Fälle ist schließlich geradezu aufdringlich groß : alle sterben für ihr Volk!)
Einerseits frustriert es mich, dass Tony Reinke in seinem Trauerartikel über Tim Keller vor allem an Kellers Art der Auslegung von Herr der Ringe zurückblickt. Aber noch mehr frustrierter bin ich an der Kritik an den sogenannten „New Calvinists“, die von den „sogenannten echten Calvinisten“ ausgeht. Da kann man viele Leser mit Artikeln wie „Keller loves Harry Potter“ erreichen (es muss auch irgendwo ein deutsches Analog zu finden sein, dass ich gerade nicht auftreiben kann). Andererseits stimmt es mich doch nachdenklich, wenn ich mehr als 600 Ergebnisse für Lord of the Rings bei „The Gospel Coalition“ finde, die sich vor allem durch ihre Undifferenziertheit hervorheben. Fünf der ersten sechs gefunden Artikel sind diese: Justin Taylor hat 2010 eine „Konkordanz für „the Lord of the Rings““ und über die fünf Dimensionen einer großen Geschichte veröffentlicht, 2012 sprach er über die Philosophie der Bücher, 2013 wo man die Hörbücher günstig erwerben kann und 2014 schließlich darüber, welche christlichen Themen Peter Kreeft in diesem Buch entdeckt hat. My oh My.
Letzlich spricht vor allem über ein äußerst zurückentwickeltes Unterscheidungsvermögen, wenn wir an Büchern die gelesen werden Menschen in vollständig vergitterte Schubladen schieben. Doch ein anderes Problem tut sich auf: Eigentlich tue ich mich mit allen drei Gruppen schwer. Die Märchenverweigerer habe ich schon in anderen Artikeln kritisiert (z.B. hier), so dass ich mich vor allem mit den Befürwortern chirstlicher Fantasy auseinanderswetzen möchte. Einige der Argumente hier finde ich verkürzt, andere konstruiert und wiederum andere nicht richtig dargestellt. Ich möchte einige Beispiele ausführen, damit aber entblöße ich ein Stückweit auch meine Ratlosigkeit in diesen Fragen. aber ich möchte lieber auf eine zufriedenstellende Position warten, als mich mit einer löchrigen zufriedenzugeben.
Kommt da eigentlich mehr?
Ich frage mich, warum die begeisterten Leser von LoR/Narnia eigentlich nicht auf die derart naheliegende Frage kommen: Warum finden sich nur diese beiden Autoren, die in den Kreis „guter Fantasy“ gelangen? Ich denke, diese Frage wird deswegen so selten gestellt, weil sie so unbequem ist. Denn sie offenbart mehrere Baustellen:
- Warum z.B. hat manch ein Reformierter Nachsicht mit den nicht reformierten Positionen von Lewis und (noch mehr) Tolkien, während er doch gleichzeitig überall strengste Orthodoxie einfordert
- Warum gibt es solche Autoren heute nicht mehr? Man würde doch bei mehr als 600 Artikeln erwarten, dass da eine ganze Schar christlicher Autoren im kommen ist, aber was man sieht ist im wesentlichen Wüste.
- Warum ist die Liste überhaupt so klein und dreht sich ständig um die beiden Beispiele Lewis und Tolkien (Ich verrate eine Antwort: Es liegt daran, dass man zu wenig liest)
Wenn jemand wie J. Taylor über LoR schwärmt, bleibt für mich immer die Frage, warum dieses Schwärmen so überschwänglich ist. Ich frage mich, ob er eigentlich wirklich diese Art von Literatur heute in seinem Umfeld, in seiner Gemeinde haben möchte. Denn wenn er sie so gerne hätte, warum wird absolut nichts gemacht, um diese Art der Ausdrucksweise zu fördern.
Allgemeine Gnade goes wild!
Einst sagte Abraham Kuyper dass es nicht ein Quadratzentimeter Lebenssphäre auf dieser Erde gibt, die Jesus nicht vollständig für sich beansprucht. Damit unterstrich er den weiten Gebrauch dessen, was in der reformierten Theologie als “allgemeine Gnade” bekannt ist. Ich glaube, dass die Reformierten damit etwas sehr deutlich sahen, nämlich das kein Lebensbereich gewirkt, kein Schicksal gelebt, keine Geschichte erzählt wird, ohne dass Gott darüber die völlige Herrschaft besitzt. Dennoch glaube ich, dass uns die Zügel schießen, wenn wir in allen Dingen, die wir sehen und erleben eine undifferenzierte Parabel für das Evangelium erblicken. Es ist keine Predigt von Jesus, nur weil mich etwas an Jesus erinnert. Blicke auf das goldene Kalb: Es war aus einem Edelmetall, es symbolisierte Stärke. Zeigte es uns so nicht den Unvergänglich Mächtigen? Sollte Aron und Mose nun nicht mit dem Kalb anfangen, um das Volk die ersten Schritte „echter Gotteserkenntnis“ zu lehren? Die Frage der Parallele der heidnischen Götter wird in der Geschichte Israels nur dringender: Da sind die babylonischen Götter, Marduk ganz vorne dabei. Marduk ist ein freier Gott, er ist ewig und herrscht voller Führung über die anderen Götter und die Menschheit. Wie viel Parallele zu Jahwe braucht es da noch? Macht es da so viel aus vor Marduk statt vor Jahwe niederzufallen, wenn doch Marduk eigentlich nur ein Gottesbild ist, dass aus allgemeiner Gnade geboren wird.
In „Herr der Ringe“ findet sich immer die Hoffnung auf „das gute Schicksal“, die auch „das Böse gebraucht“. Nun kann ich das wohl auch als Startrampe benutzen um über „Gottes Vorsehung zu sprechen. Oder sollte ich das als Kritikpunkt sehen, dass dieses Schicksal im ganzen Werk unpersönlich und unbekannt bleibt? Erinnert mich die regierende Hand des Schicksals wirklich an JHWH oder eigentlich vielmehr an Marduk?
Der Antichrist erinnert mich an Jesus?
Das man nicht am Wegweiser hängen sollte, sondern zum Ort ziehen muss, dahin er weist ist klar. Aber nicht jedes Schild zeigt in der tat den rechten Weg (auch wenn es einen Weg an sich zeigt und so ja schon ein Bild dafür ist, dass alles einen Weg zeigt, so wie ja Jesus der Weg ist). Ich werde zynisch! Aber das liegt daran, dass diese Metaphern so furchtbar verführerisch sein können. Nehmen wir an dem deutlichsten Symbol, dass auf Jesus zeigt: Da lässt jemand sein Leben, um andere zu retten. Aber wird der Antichrist selbst nicht einst versuchen das Sterben und die Auferstehung Christi „zu faken“. In Offenbarung 13 wird uns berichtet, dass das Tier gerade dadurch die Erde in Verwunderung setzten wird, dass es eine tödliche Wunde besitzen wird und doch wieder gesund wird (13,3). Gerade dass führt dann zur Anbetung des Tieres (13,14). Wie auch immer diese Verse praktisch realisiert werden, sprechen sie doch die Sprache, dass der Antichrist selbst das Sterben und die Auferstehung Christi „pervertieren wird“. Doch steigt der Wert von Katzengold etwa dadurch, dass es wie Gold aussieht?
Wird der Antichrist zu einem Bild für Christus, weil er sein Sterben kopiert? Das ist vor allem ein Kritikpunkt an denen, die überall eine Parallele zu Christus sehen. Natürlich bietet sich die Parallele der Rettung aus der „Matrix“ nach „Zion“ in der Matrix-Trilogie geradezu von selbst an. Aber gleichzeitig bleibt der Film dennoch von gnostischen Motiven durchzogen. Erinnert mich Neo nun wirklich an Jesus oder doch eher an den Anitchristen? Natürlich muss Batman sterben, um Gotham City zu retten. Aber übersehe ich damit bloß, dass er ein Mann ohne Gewissheit und Zuversicht bleibt, niemals mit wirklichem Halt an einem fixen Gesetz, so wie es der Sohn an den Worten seines Vaters war? Es ist letztlich wahr, dass selbst der Antichrist mich an Christus erinnern wird, aber wie bringt mich das meinem Heiland näher?
Ist jede Fiktion okkult?
Wer Tolkien & Co verteidigt, greift oft zum Angriff und deckt auf, wie töricht es ist, Fiktion abzulehnen. Schließlich lese selbst der konservativste Christ unseres Zeitalters mit Hochachtung die Pilgerreise! Eine Allegorie, in der Christian selbst Dämonen und Riesen über den Weg laufen! Die Argumentation bekämpft aber ein Strohmann-Argument. Dass man bekümmert ist, über okkulte Literatur, was sollte da verkehrt sein. Als Vater von Schulkindern kann ich ein Lied singen. Wie froh wäre ich, wenn meine Kinder nun mal endlich nicht ein Buch über Gespenstervampire (Nur Gespenster oder nur Vampire reichen nicht mehr aus), Hexenaustreibungen, fantastische Tierwelten etc. lesen müssten. Das Zeug käst mich furchtbar an. Und ja, diese Bücher sind wirklich nicht mit dem hohen Niveau von Lord of the Rings vergleichbar und doch ist es eine Frage die mich beschäftigt: Sollte man nach der magischen Schule der Tiere noch nach Narnia reisen?
Ich teile die Besorgnis der Eltern, die nicht möchten, dass ihre Kinder erneut ein okkultes Buch lesen möchten (damit sage ich nicht, dass LoR oder Narnia okkult wären). Ich will nur sagen, dass von den Verteidigern der Fiktion manchmal so getan wird, als gebe es gar keinen Unterschied darin, welche Art von fiktiver Literatur man ablehnt oder akzeptiert.
Ist Realismus ein unterentwickelter Literaturstil?
Ich liebe den literarischen Realismus. Die Verteidiger von christlicher Fantasy-Literatur tun manchmal so, als wäre Realismus nur eine primitive Art der Literatur. Als hätte Dostojewski, ein ganz klassischer Autor des russischen Realismus nicht die Vorstellung gehabt, einem der Brüder Karamasow den Teufel zu Besuch zu schicken, als könnte Jeremias Gotthelf (der biedermeierischste Realist ever!) nicht in „die Schwarze Spinne“ über den Handel des Teufels mit in Not getriebenen Bauern schreiben, die dazu führt, dass sie überall Beulen bekommen, aus denen Spinnen schlüpfen.
Manchen mag hier nicht klar sein, was mich hier schmerzt. Vielleicht bin ich zu kleinlich, wenn ich in den Verteidigern der „christlichen Fantasy“ vorwerfe, dass sie zu gering über Realismus, zu oberflächlich über Literatur als ganzes denken.
Und Nu?
Man könnte mein Gerede von Tolkien/Lewis Fanboys als verächtliche Deklassifizierung aufnehmen. So ist es aber nicht gemeint. Ich würde mich als Lewis Fanboy sehen, ich lese ihn ungemein gern. LoR, wie auch der Hobbit fesselten mich sehr. Doch letztlich gibt Tolkien LoR im Vorwort selbst das Maß vor: Er wollte wissen, wie ein besonders großes Märchen sich entwickeln wird. LoR ist eben ein Märchen; ich habe von LoR in etwa genauso viel gelernt wie von den Märchen von Wilhelm Hauff. Das Gottesbild dass LoR entwickelt ist verwirrend, vielleicht muss ich mit einem Katholiken bloß nachsichtig sein, aber vielleicht muss ich ihn auch dafür rügen, dass er mir das goldene Kalb vorzeichnet. Ich war noch ein Kind als ich Harry Potter las und kann mich nur noch rudimentär an das Werk erinnern, aber mir ist nicht wirklich klar, was der entscheidende Unterschied zwischen LoR und Harry Potter sein sollte. (Ich habe schon ein paar Mal das Experiment durchgeführt, in dem ich mich beraten lies, ob denn meine Kinder Harry Potter lesen sollen, und man verwies mich darauf, dass es ja bessere Bücher wie LoR und Narnia gebe).
Lewis finde ich entschieden eindeutiger. Narnia ist explizit und eindeutig eine christliche Allegorie und als solche ausgelegt. Narnia erinnert mich eindeutig an Werke wie die Pilgerreise.
Für ein letztes Wort ist noch Raum: Wahrlich töricht ist es, all diese Werke nach ihren Verfilmungen zu bewerten. Ich weiß, wie entsetzt ich war, als ich die „Faune“ auf der Leinwand sah. Sie waren allen frohen Scheins beraubt, denn sie in den Büchern besaßen. Leider haben viele vor allem deswegen eine geringschätzige Meinung von LoR und Narnia, weil sie die Filme gesehen haben.
Hallo Sergej, nimm es nicht persönlich, aber irgendwie ist das ein etwas seltsamer Artikel mit vielen Strohmännern. Ich habe leider nicht die Zeit, explizit darauf einzugehen, aber vielleicht ist es sinnvoller, das Warten auf eine “zufriedenstellende Position” nicht zwingend öffentlich zu machen 😉
Hi Max, könnte was dran sein an dem was du schreibst ich hätte ein paar Sätze nicht ganz so scharf formulieren sollen