“Den aller Welt Kreis nie beschloß, der liegt in Maria Schoß”

Luther hat das Magnifikat Marias (gemeint ist Luk. 1,46-55) mitten im heftigsten Bruch mit der Katholischen Kirche, noch von der Wartburg aus veröffentlicht. R. Friedenthal schreibt dazu in seiner Biographie über Luther (S. 366): “Noch ist er Mönch, die Marienverehrung ist ihm sehr lebendig geblieben. Mitten unter dem Tumult der Vorladung nach Worms hatte er bereits begonnen, das Magnifikat, den Lobgesang der Mutter Gottes, auszulegen. Jetzt vollendet er das Werk. Das ist ein völlig anderer Luther. Er donnert und tobt nicht. (…) Er sieht Maria in der Tracht und Umgebung seiner Zeit, ein “geringes, armes Dirnlein”, nicht besser als eine Hausmagd, und auch als der Engel ihr die Verkündigung überbracht hat, bleibt sie demütig, “ruft nicht aus, wie sie Gottes Mutter geworden wäre, fordert keine Ehre, geht hin und schafft im Haus wie vorhin, melkt die Kühe, kocht, wäscht Schüssel, kehret, tut wie eine Hausmagd oder Hausmutter tun soll in geringen, verachteten Werken.””. Friedenthal weist zurecht daraufhin, dass dieser “Respekt” vor Maria noch bis in die Zeit Bachs wirkte, der das Magnifikat vertonte. Tatsächlich ist Luthers Buch über Maria ein gutes Andachtsbuch über das Thema Demut. Zu V.46 (Meine Seele erhebt den Herrn) führt Luther aus:

“Darum ist es hier nötig, (auf) das letzte Wörtlein zu merken: »Gott«. Denn Maria sagt nicht: »Meine Seele macht sich selbst groß« oder »hält viel von sich«. Sie wollte auch gar nichts von sich gehalten haben. Sondern allein Gott macht sie groß, dem schreibt sie es ganz allein zu. Sie nimmt es von sich weg und trägt es allein völlig wieder hin zu Gott, von dem sie es empfangen hatte.”

Rühmt sich Maria aber nicht doch wenigstens ihrer Demut, als sie sagt, dass der Herr ihre Niedrigkeit angesehen hat (V. 48)? Luther kritisiert in aller Schärfe diese falsche Demut:

“Das Wörtlein »humilitas« haben etliche hier zur »Demut« gemacht, als hätte die Jungfrau Maria ihre Demut angeführt und sich deren gerühmt. Daher kommt es, daß sich etliche Prälaten auch »humiles« (Demütige) nennen, welches gar weit von der Wahrheit (entfernt) ist. Denn vor Gottes Augen kann sich niemand einer guten Sache ohne Sünde und Verderben rühmen. Man muß sich vor ihm nichts mehr rühmen, als seiner lauteren Güte und Gnade, uns Unwürdigen erzeigt…”

Am Schluß endet Luther fast schon katholisch: “Hier lassen wirs für diesmal bleiben und bitten Gott um rechtes Verständnis dieses Magnificat, das da nicht allein leuchte und rede, sondern brenne und lebe in Leib und Seele. Das verleihe uns Christus durch Fürbitte und Willen seiner lieben Mutter Maria! Amen.”

Gemeint ist aber hier nicht eine permanente Bitte Marias im Himmel, sondern als prophetische Erfüllung des Magnifikats.

Interessanterweise erklärt Luther in seinem Sendbrief vom Dolmetschen (1530 erschienen) in aller Ausführlichkeit die Übersetzung von Lukas 1,28. Den Gruß des Engels Gabriels an die Maria: “Gegrüßet seist du, du holdselige!”. Am liebsten hätte Luther “du liebe Maria” geschrieben: Aber:

“Ebenso, da der Engel Luk. 1, 28 Maria grüßet und sagt: »Gegrüßet seist du, Maria, voll Gnaden,23 der Herr mit dir.« Wohlan, so ists bisher schlicht, den lateinischen Buchstaben entsprechend verdeutschet worden. Sage mir aber, ob das auch gutes Deutsch sei? Wo redet der deutsche Mann so: »Du bist voll Gnaden«? Und welcher Deutsche verstehet, was damit gesagt sei: »voll Gnaden«? Er muß an ein Faß voll Bier oder Beutel voll Geldes denken. Darum habe ichs verdeutscht: »du Holdselige«; damit ein Deutscher sich desto besser vorstellen kann,was der Engel mit seinem Gruß meinet. Aber hier wollen die Katholiken toll werden über mich, daß ich den Engelsgruß verderbet habe: obwohl ich damit noch nicht das beste Deutsch getroffen habe. Und hätte ich das beste Deutsch hier nehmen und den Gruß so verdeutschen sollen: »Gott grüße dich, du liebe Maria« – denn so viel will der Engel sagen, und so würde er geredet haben, wenn er sie auf deutsch hätte grüßen wollen – ich meine, sie (die Katholiken) sollten sich wohl vor großer Schwärmerei für die liebe Maria selbst erhängt haben, weil ich den Gruß so zunichte gemacht hätte.”
Zu der angestrebten Freiheit Luthers hat sich nicht einmal die Luther-2017-Übersetzung durchgerungen.

Luthers  Lied “Gelobet seist du, Jesu Christ” enthält auch eine Strophe, die die Demütigung des Erlösers im Schoße Marias besingt:

Den aller Welt Kreis nie beschloß,
der liegt in Maria Schoß,
er ist ein Kindlein worden klein,
der alle Ding erhält allein.
Kyrieleis.

Bei Predigten zu den Weihnachtstagen schreckt Luther nicht davor zurück, Maria als Vorbild für die Gläubigen darzustellen. So in sener Predigt über Luk. 2,15-20 (an dieser Stelle gezielt über V.19: Sie behielt und bewegte die Worte in ihrem Herzen):

“Diesem Beispiel der heiligen lieben Mutter des Herrn sollen wir folgen (denn darum ists uns vorgeschrieben) und auch mit solchem Fleiß und Ernst das Wort in unser Herz einprägen, daß gleichsam ein ganzes daraus werde. (…) Da will er, daß sein Wort uns nicht allein auf der Zunge schwebe wie ein Schaum auf dem Wasser oder Geifer im Munde, den man ausspeit, sondern daß es ins Herz hineingedrückt werde und ein solch Kennzeichen bleibe, welches niemand abwaschen kann, gerade als wäre es drin gewachsen und ein natürlich Ding, das sich nicht herauskratzen läßt. Ein solch Herz ist das der Jungfrau Maria gewesen, in welchem diese Worte wie hineingegraben geblieben sind.”

Ähnlich predigt Luther, als er über Jesu erstes Wunder auf der Hochzeit zu Kana nachdenkt: “Denn sollte sich nicht eine gottesfürchtige und fromme Magd im Hause, die kochen und anderes tun muß, an einem solchen Beispiel der Mutter Gottes trösten und freuen und sagen: Daß ich kochen und anderes tun muß, das ist genauso der lieben Jungfrau Maria Dienst auf der Hochzeit gewesen; die machte sich auch zu schaffen, sah zu, wie es alles wohl verrichtet würde usw. Und ob es wohl ein geringes Werk ist, das ich im Hause tue, und kein Ansehen hat, so tue ichs doch Gott zu Ehren, der da befohlen hat und will, daß ich solchen Gehorsam und Fleiß tun soll.”

Immer wieder kehrt also Luther zu dem Beispiel Marias für demütigen Christendienst zurück.

In der sehr ungewöhnlichen und auch typisch lutherischen Diskussion über die Präsenz Gottes in allen Kreaturen (Luthers Tischrede Nr. 78 in Kurt Alands Auswahl), führt Luther ein spannendes Beispiel auf:

“Glaubst du auch, daß Christus am Kreuz und in der Jungfrau Maria Leib Gott war? Beides zu glauben ist der Vernunft unmöglich; ich glaube es aber, denn die Schrift sagts. Ist nun Gott in der Jungfrauen Leib wesentlich und gegenwärtig, so ist er auch in einer jeden Kreatur, denn es ist einerlei Weise zu reden.”
Im Gegensatz zu vielen seiner zahlreichen Nachfolger,  hielt Luther also unbeirrt an der Jungfrauengeburt fest. Doch auf die Frage, welche Glaubensartikel am schwersten zu glauben sind, gesteht Luther: “Von der heiligen Dreifaltigkeit und Menschwerdung Christi, das sind die schwersten Artikel. Denn die Vernunft kann das etlichermaßen glauben, daß ein Kindlein von einer Jungfrau geboren wird, weil Gott allmächtig ist; aber da will sie nicht hinan, daß drei Personen in einem ewigen göttlichen Wesen seien, von gleicher Gewalt und Macht usw., und daß Gott selber Mensch geworden sei. Das ist ihr zu hoch.”

Die Verteidigung der Jungfrauengeburt war auch der Anlass für seine leider wenig bekannte Schrift: “Das Jesus Christus ein geborner Jude sei“: “Eine neue Lügen ist aber uber mich ausgegangen. Ich soll gepredigt und geschrieben haben, daß Maria, die Mutter Gottes, sei nicht Jungfrau gewesen, fur und nach der Geburt, sondern sie habe Christum von Joseph, und darnach mehr Kinder gehabt.” Ob Luther auch an die dauerhafte Jungfrauschaft Marias geglaubt hat, die auch von vielen Reformatoren vertreten wurde, wird für mich aus seinen Schriften nicht so klar deutlich, schreibt doch Luther im selben Werk: “Daher auch gar nichts die Schrift streitet noch saget von der Jungfrauschaft Mariä nach der Geburt, damit sich doch die Heuchler hoch bekümmern, gerad als wäre es ihr Ernst, und alle Seligkeit dran läge; so doch freilich daran uns gnug sein sollt zu halten, daß sie nach der Geburt sei Jungfrau blieben, weil die Schrift nicht sagt noch gibt, daß sie hernach verrückt sei, und ohn Zweifel niemand so mächtig zu fürchten, daß er ohn Schrift erstreite aus eigenem Kopf, daß sie nicht sei Jungfrau blieben. Aber die Schrift bleibt dabei, daß sie Jungfrau sei gewesen fur und in der Geburt: denn so fern hat Gott ihrer Jungfrauschaft nöthlich bedurft, daß er uns den gesegneten verheißen Samen gäbe ohn alle Sünde.”

 

 

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