Darf man etwas von Spurgeon lesen?

Eine regelmäßig gemachte Beobachtung möchte ich berichten. Man teilt mit jemanden ein Zitat von z.B. Spurgeon, aber es darf auch Luther sein oder Calvin, oder ein Puritaner, oder C.S. Lewis oder eigentlich sonst jemand, bisher konnte ich es mit eigentlich jedem Autor erleben, möchte es aber für den Artikel – for the sake of the argument – auf sogenannte “calvinistische” Autoren beschränken. Die Gänsefüßchen, weil auf Rückfragen die verschiedensten Definitionen von “calvinistisch” gegeben werden, wobei ich mich bei etwa 50%-70% der Definitionen frage, ob die Autoren diese akzeptieren würden.

Der Gesprächsverlauf ist in etwa dieser:

S (für Sergej): “Diese oder Jene Predigt von Spurgeon hat mich getroffen und hat mich wirklich erbaut. Außerdem konnte ich auf eine Frage, auf die ich schon seit Monaten Antwort gesucht habe, eine zufriedenstellende Antwort finden.”

V(für Varianten möglicher Reaktionen):

  1. “Das ist interessant, aber sollte man bei Spurgeon nicht aufpassen, schließlich war er ja calvinistisch geprägt”
  2. “Ich habe mal gehört, Spurgeon hat mal geraucht”
  3. Weitere entweder emotionelle oder intellektuell formulierte Varianten von 1 oder 2 oder 1 und 2.

Zum einen gestehe ich ein, dass ich natürlich Kontroversen anziehe und gerne argumentiere und sozusagen solchen Widerspruch wie ein Magnet anziehe. Den in der Tat auf Einwände 1 bis 3 versuche ich meinst mit Argumenten entgegenzutreten (“Das Rauchen empfahl ihm sein Arzt, als er ihn wegen seiner Furcht, abhängig vom Kafffee zu werden, ansprach”).

Aber mir geht langsam auf, dass womöglich sämtliches Argumentieren unnötig oder mindestens “kindisch” war, das wird deutlich wenn man die Argumentation einfach umdreht:

-> Habe ich Spurgeon etwa deswegen gelesen weil er eine ganz bestimmtes Verständnis von der Vorherbestimmung hat? Ist das der Grund, warum ich mir Predigten über “Christus im Alten Testament” von ihm reinlese, warum ich E. Funk frage, ob sie Predigten von Spurgeon aufnimmt, warum ich seine Tröstenden Worte in “Ich bin der Herr, dein Arzt lese”, warum ich seine humorvollen Spitzfindigkeiten in “Guter Rat für allerlei Leute”, warum ich über seinen Tiefsinn in seiner Autobiographie staune? Ist das der Grund dafür? Oder lese ich das alles deswegen, weil Spurgeon geraucht hat? Wahrscheinlich müsste ich dann die Reformatoren deswegen lesen, weil sie die Baptisten verdammt haben und die Puritaner, weil sie so übertrieben streng waren.

Selbst wenn die Einwände wirklich stimmen und völlig zutreffend wären und z.B. Spurgeons Model der Prädestination völlig fatal, so wäre das doch nicht der Grund für mich ihn zu lesen!

Ich glaube also schon, dass es wichtig ist, sich die Frage zu stellen, warum man einen Autor liest oder nicht und ich mache vor allem ein zentrales Maß aus: Die Frage nämlich, ob der Autor wirklich den Herrn sucht, für den Herrn eifert, Gott liebt, Christus zu erfassen sucht. Das Suche ich: Eine Leidenschaft für Gott, etwas, das in meiner Seele den Hunger nach Gott weckt, oder mich aufweckt, wenn ich diesen Hunger in irgendwelchen Götzen zu stillen suche. Das ist für mich das allesentscheidende Maß an dem ich christliche Literatur messe. Die entscheidende Frage, ob man zu einem Buch greift, sollte diese sein: Bringt mich das Buch näher zu Gott? Nicht das ich mich selbst immer daran halten würde und nicht schon von manch einem eher “leeren” Roman habe fesseln lassen. Aber gerade in der christlichen Literatur suche ich doch nicht feine Rhetorik (selbst von einem Nichtraucher) oder clevere Polemik (selbst von einem Arminianer), nein ich suche den Hunger nach Gott. Etwas, das die Psalmen so oft ausdrücken: Ein Lechzen nach Gott, wie ein Hirsch nach frischem Wasser lechzt! Finde ich das, ist mir schlicht zweit- (eher dritt)-rangig, welches Taufverständnis und welches Endzeitmodel der Autor vertrat und welcher Denomination er angehört hat. Genau diesen Hunger finde ich bei Spurgeon, aber ich finde ihn relativ selten bei seinen Kritikern…

Das lässt uns mit der Frage zurück: Warum lässt sich bei uns so wenig Hunger nach Gott finden, wenn wir zu christlichen Büchern greifen?

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