Mein lieber Markus! (Ein Brief von Paul Geyser)

Mit schwerem Herzen habe ich gelesen, dass du dich für die Theologie entschieden hast, und auch deine würdige Mutter hat erklärt, es sei das eine bedenklichere Wahl, als wenn du den Rock aus zweierlei Tuch anziehen oder dein Glück auf dem Weltmeer suchen wolltest. Indessen, wie ich dir nie zuredete und dir ganz freie Wahl ließ, so will ich nun auch nicht widerreden, sondern dir nur zurufen: Der Gott, vor dem meine Väter Abraham und Isaak wandelten, der Gott, der mich mein Leben lang ernährte bis auf diesen Tag, der Engel, der mich erlöst hat von allem Bösen, der sei mit dir! (1Mo 48,15)

Oh, mein Sohn Markus, meines Herzens Hoffnung und Freude, ich wollte lieber, du wärst auf meinen Knien gestorben, als dass du herangewachsen wärst, um des Teufels Narrenkappe zu tragen, ein Diener der Kirche zu heißen und ein Baalspfaffe zu sein. Weißt du, dass nach Gottes Gesetz der Mann, der das Heilige Salböl nachmachte, verflucht und vermaledeit war in Ewigkeit? (2Mo 30,31–33) Wird denn eine geringere Strafe denjenigen treffen, der das Heilige des Neuen Bundes nachmacht, um Menschen und Gott zu belügen?!

Hüte dich, Markus, es gibt eine Theologie, die hat es mit lauter Imitation zu tun – lauter Falschmünzerei!

Hüte dich, es gibt eine Theologie, die gleicht einer Lyoner Musikdose, welche ein paar Stückchen ganz fertig abspielt und dann schweigen oder wieder von vorn anfangen muss, bis die Leute darü- ber einschlafen.

Hüte dich, es gibt eine Theologie, die gleicht einem Antiquitäten-Kabinett, wo alles beisammen ist: ein härener Rock von einem Kirchenvater, ein Rosenkranz von einem Scholastiker, ein Brillenfutteral von Dr. Luther, ein Hosenknopf von Calvin, eine Schnupfdose von Zinzendorf und dergleichen Dinge.

Markus, lass dich nicht darauf ein! Von den Alten sage ich: Mögen sie in Frieden ruhen! Die Reformierten aber halten sich an die Lebendigen, an Israels heilige Propheten und Apostel, an Gottes heiliges Wort, welches bleibt in Ewigkeit! Daran denke du! … Ich weiß, dass auf der Universität „mancherlei Getränk“ eingeschenkt wird. Und ich hoffe zu Gott, wenn du auch Gift saufen musst, so werde es dir nicht schaden (Mk 16,18). Aber weil die Welt so von freier Forschung brüllt, so hebe du nur getrost den Handschuh auf und forsche, dass es dir keiner an Fleiß und Treue zuvortun kann.

Forsche, bis du erkennst, dass all die Großhanse, welche in der Welt wie Leuchttürme angestaunt werden, nur Windbeutel sind – dass alle, die sich nicht beugen vor Gottes Wort, in der Schrift Narren heißen. Gottes Wort, mein Sohn, ist „geläutert im Schmelztiegel siebenmal“ (Ps 12,6). Lass dir keine Bären aufbinden, Markus. Bücke dich nicht vor den Götzen der Wissenschäftelei … Pass auf und lass dich nicht verachten. Schreibe uns bald und vergiss unsere Liebe nicht.

Dein Vater Philalethes

Paul Geyser war von 1861 bis 1882 ein origineller, furchtloser Pfarrer der reformierten Gemeinde in Wuppertal-Elberfeld. Unbeugsam, wenn es um die Frage nach der Autorität der Bibel ging, aber auch ein Mann mit Wärme und Herzlichkeit, wenn es darum ging, Christen seelsorgerlich zu helfen. Dieser Brief an seinen Sohn Markus ist ein gekürzter Auszug aus dem ersten der sechs köstlichen Briefe, die unter dem Titel „Aus dem Nachlass eines Großvaters“ stammen, dem ersten Band der sechs Bände seiner „Gesammelten Schriften“. Nach seinem Tod wurden sie im Neukirchner Verlag aufgelegt.

Die vollständige Zeitschrift findet sich hier!

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